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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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breiten Eingangstür.
    Zögernd stieg ich die Stufen hinauf. In meiner Vorstellung lebten Ratsherren hinter hohen Mauern, bewacht von Soldaten, nicht einfach so in der Stadt.
    Vor der Tür blieb ich stehen. Sie war aus schwerem, dunklem Holz, und in ihrer Mitte hing ein eiserner Ring. Er fühlte sich kalt und feucht an, als ich ihn berührte. Vorsichtig klopfte ich mit ihm gegen das Holz. Ich hörte nichts.
    Als nach einem Moment immer noch nichts geschah, trat ich einen Schritt zurück und sah hinauf zu den schmalen, von dunklen Vorhängen geschützten Fenstern. Es war niemand zu sehen.
    Ich ging wieder zur Tür, streckte langsam die Hand nach dem Ring aus, um noch einmal zu klopfen, schreckte aber zurück, als drinnen ein Riegel laut knirschend zurückgeschoben wurde.
    Eine Hälfte der breiten Tür schwang nach innen auf. Im grauen Tageslicht sah ich einen jungen Mann, der zwar ein Schwert im Gürtel stecken hatte, aber keine Rüstung trug.
    Ich ließ die Hand sinken.
    »Ja?«, fragte der Mann. Er klang barsch.
    »Ich habe eine Nachricht für Bürgermeister Wilbolt.«
    Wortlos hielt mir der Mann die Hand hin. Ich griff nach dem Brief in meinem Hemd und errötete, als ich sah, wie der Blick des Mannes meinen Fingern folgte. Hastig wandte ich mich ab.
    »Hier«, sagte ich schließlich. Ich reichte ihm den Brief. »Sag ihm, es geht um Magda.«
    Der Mann nahm den Brief, betrachtete kurz das Siegel, das den Umschlag verschloss, hob dann die Augenbrauen und schloss die Tür. Es musste ihm seltsam erscheinen, dass der Bürgermeister einen Brief mit seinem eigenen Siegel erhielt.
    Ich blieb vor der geschlossenen Tür stehen und wartete. Es begann zu schneien. Kleine Flocken wirbelten durch die Luft und blieben auf den Treppenstufen liegen. Ich zog den Umhang enger um meine Schultern und drehte dem Wind den Rücken zu.
    Nach einer Weile hörte ich Schritte hinter der Tür. Der Soldat öffnete und nickte mir zu.
    »Komm«, sagte er.
    Ich betrat das Haus. Der Gang, durch den mich der Soldat führte, war dunkel und roch nach altem Holz. Dielen knarrten unter meinen Sohlen, die Öllampen, die in regelmäßigen Abständen an den Mauern hingen, waren nicht entzündet. Wahrscheinlich benutzte man sie nur zu besonderen Anlässen, denn Öl war selbst für reiche Leute kaum zu bezahlen.
    Aus einer geöffneten Tür fiel Licht in den Gang. Der Soldat führte mich darauf zu. Mein Herz begann schneller zu schlagen, und mein Mund wurde trocken, als ich einen Schatten über die Wände gleiten sah.
    Vor der Tür blieb der Soldat stehen. »Das Mädchen, Herr«, sagte er, und mir bedeutete er mit einer Geste einzutreten. Ich fuhr mir mit der Zunge über die plötzlich trocken gewordenen Lippen und ging an ihm vorbei. Der Schatten beendete seinen Weg über die Wände, und der Mann, zu dem er gehörte, drehte sich zu mir um.
    Er war alt. Haare dünn wie Kükenflaum hingen von einem fast kahlen Schädel, sein Rücken war krumm, die Hand, in der er meinen Brief hielt, zitterte. Aus seinem faltigen, von Leberflecken übersäten Gesicht starrte mich ein waches, funkelndes Auge an, das andere war milchig weiß und blind.
    »Ihr seid nicht Bürgermeister Wilbolt«, sagte ich. Obwohl ich meinen Vater nie gesehen hatte, war ich mir sicher, dass dieser Mann es nicht war.
    »Ich bin sein Berater, Friedrich von Wallnen.« Die Stimme des alten Manns war brüchig, doch die Schärfe, die einmal darin gelegen hatte, ließ sich immer noch erahnen. »Näher als bis zu mir wirst du ihm nicht kommen, Kind.«
    Er schlurfte zu einem ledergepolsterten breiten Holzstuhl und setzte sich. Auf dem Tisch neben ihm stand ein Kerzenleuchter mit einem halben Dutzend brennender Kerzen. Das einzige Fenster des Zimmers wurde von einem Wandteppich verdeckt, an den Wänden sah ich Regale mit allerlei Holzschnitzereien und einem einzigen Buch.
    Von Wallnen bot mir den zweiten Stuhl nicht an, also blieb ich stehen. Ich war ebenso verwirrt wie enttäuscht.
    »Glaubt er mir nicht, oder warum weist er mich ab?«, fragte ich.
    »Er glaubt dir.« Der alte Mann legte meinen Brief auf den Tisch. »Er erinnert sich sogar sehr gut an den Tag, an dem er Magda dieses Schreiben gab.« Er musterte mich mit seinem gesunden Auge. »Ich nehme an, du bist ihre Tochter?«
    »Mein Name ist Ketlin.«
    »Wo ist Magda?«
    »Sie ist tot.«
    Von Wallnen schmatzte und schwieg.
    Ich stand da, wartete und lauschte dem Knistern der Kerzen. Mir war kalt, und ich fühlte mich so fehl am Platz wie ein

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