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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Holzlöffel zwischen feinem Tafelsilber.
    »Was willst du?«, fragte von Wallnen, als ich bereits dachte, das Schweigen würde niemals enden.
    Ich zögerte.
    »Du kannst frei sprechen. Ich habe bereits dem Vater des Bürgermeisters gedient. In dieser Familie geschieht nichts ohne mein Wissen.«
    Ich hatte mir die Worte zurechtgelegt, die ich sagen wollte, doch nun erschienen sie mir unpassend und tölpelhaft.
    »Ich …«, begann ich nach einem Moment. »Ich weiß zu schätzen, was der Bürgermeister in seiner Güte all die Jahre für meine Mutter und mich getan hat.«
    Von Wallnen runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts.
    »Uns ist Schreckliches widerfahren. Meine Mutter …« Ich schluckte, als ich sie plötzlich wieder im Rauch verschwinden sah. »Sie wurde …«
    Er ließ mich nicht ausreden. »Meine Zeit ist knapp bemessen. Fasse dich bitte kurz.«
    »Ja, Herr.« Einen Moment lang fragte ich mich, wie ich fortfahren sollte. Es kam mir so unangemessen vor, diesem Fremden meine Bitte vorzutragen, ohne dass er wusste, was mich dazu brachte. »Der Bürgermeister wollte nach einem guten Mann für mich Ausschau halten. Ich möchte ihn untertänigst und in aller Demut bitten, das zu tun. Ich kann lesen und schreiben, ich beherrsche das Rechnen und ein wenig Latein. Ich würde jedem Krämer eine gute Frau sein, Herr.« Ich knickste tief und neigte den Kopf unter meiner Kapuze.
    »Was für ein seltsamer Auftritt.« Es klang, als würde von Wallnen mit sich selbst und nicht mit mir sprechen. Seine Finger schoben den Brief auf dem Tisch hin und her. »Man könnte fast meinen, der Herrgott habe dir den Verstand genommen.« Er seufzte. »Sieh mich an, Kind.«
    Ich hob den Kopf. Meine Lippen zitterten, während ich versuchte zu verstehen, was er da sagte.
    »Die Vermessenheit, mit der du hier reinstolzierst und Forderungen stellst wie ein Kriegsherr, verschlägt mir fast die Sprache. Bürgermeister Wilbolt hat vor vielen Jahren aufgrund seines großen Herzens und gegen meinen Rat deiner Mutter ein Stück Land mit einer Hütte geschenkt, damit sie weit entfernt von der Stadt die Brut einer durchzechten Nacht gebären und aufziehen konnte.« Von Wallnens Stimme wurde lauter. Er stützte sich auf dem Tisch ab und stand auf. »Das war alles. Niemals hat mein Herr der Hure, die du Mutter nanntest, Geld gegeben – abgesehen von dieser unglückseligen Nacht natürlich –, niemals hat er behauptet, einen guten Mann für dich zu finden.« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Welcher kranke, zerfressene Verstand kommt auf so was? Reitet dich der Teufel, so wie er deine Mutter geritten hat?«
    Ich wich zurück. Das Blut schoss mir in den Kopf, der Raum kam mir auf einmal stickig und heiß vor. »Aber …« Meine Stimme versagte beinahe. Mir wurde übel. »Aber es steht doch alles in dem Brief, den der Bürgermeister …«
    »Nichts steht in dem Brief!«, schrie von Wallnen. Er nahm das Pergament und riss es mit seinen krummen, klauenartigen Fingern auf. Fetzen sanken zu Boden, vergilbt und leer. Kein einziger Buchstabe war darauf zu sehen. »Sie muss das Pergament in jener Nacht gestohlen und versiegelt haben. Gott allein weiß, was sie sich in den Jahren alles damit erschlichen hat. Wenn sie nicht schon tot wäre, würde ich sie an den Pranger stellen.« Er machte einen Schritt auf mich zu. »Und was dich betrifft: Glaube nicht, dass du einen anständigen, ehrenhaften Mann wie Wilbolt in den Schmutz ziehen kannst. Verschwinde, krieche zurück in die Gosse, die dich ausgespien hat, und lass mich nie wieder einen Blick auf dich werfen!«
    Ich prallte mit dem Rücken gegen den Türrahmen. »Ihr irrt Euch. Der Bürgermeister hat Euch nicht alles erzählt. Kann ich ihn nicht selbst sprechen?« Die Worte verließen meinen Mund so schnell, dass ich mir nicht sicher war, ob von Wallnen sie überhaupt verstand.
    Ohne zu antworten, sah er an mir vorbei und nickte. Nur einen Atemzug später spürte ich eine kräftige Hand an meinem Arm. Der Soldat, der die ganze Zeit über an der Tür gewartet haben musste, zog mich mit sich durch den Gang.
    »Wage es nie wieder, dich hier blicken zu lassen!«, rief von Wallnen hinter mir her. Dann wurde ich auch schon zurück in den grauen Tag gestoßen. Ich taumelte die Treppe hinunter auf die vereiste Straße.
    Hinter mir knallte es, als die Tür ins Schloss fiel.
    Mühsam hielt ich mich aufrecht. Meine Knie waren weich, Schneeflocken wehten in mein überhitztes, gerötetes Gesicht und schmolzen.

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