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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Mädchen in Ruhe.«
    Der Trinker kehrte mit einem Schulterzucken zu seinem Bier zurück, aber der Wirt und der andere Mann betrachteten mich aufmerksam, warteten auf eine Antwort.
    Mein Lügenstrom riss nicht ab. »Seine Familie kommt häufig auf den Markt. Wir wollten uns hier mit ihr treffen, weil ich seinen Sohn heiraten werde. Er lernt bei einem Krämer und wird einmal sein eigenes Geschäft haben.«
    Der Blick des Wirts glitt über meine abgerissene, dreckige Kleidung. »Aha«, sagte er.
    Ich sah ihm an, dass er mir nicht glaubte. Aus irgendeinem Grund störte mich das, vielleicht, weil ich wollte , die Geschichte wäre wahr. »Es stimmt. Der Krämer ist sehr zufrieden mit ihm und nimmt ihn sogar schon mit, wenn er in anderen Städten Waren kauft. Ich habe großes Glück, dass ich ihn heiraten darf.«
    Der Wirt hob die Schultern. »Wenn du es sagst. Mir ist es egal, was du erzählst – solange es keinen Ärger gibt.«
    »Wäre nicht das erste Mal«, murmelte der Trinker neben mir.
    Ich wandte mich ab von ihnen, beschämt und verärgert. Selbst diese Fremden glaubten nicht an jene Zukunft, die Mutter für mich vorhergesehen hatte. Sie durchschauten die Lüge, die ich mein ganzes Leben nicht erkannt hatte.
    Der Schankraum war klein und dunkel, die Fenster scheibenlos und mit zerschlissenen Vorhängen bedeckt. Es gab weder Tische noch Stühle, nur die Theke und eine Feuerstelle, in der kein Feuer brannte. Eine schmale, enge Stiege führte nach oben zu den beiden Zimmern. Das linke, so hatte der Wirt erklärt, war für Männer, das rechte für Frauen.
    Ich raffte meinen Rock und den Umhang und stieg die hohen, unebenen Stufen hinauf.
    »Verlauf dich nicht!«, rief mir der Mann hinterher, der eben noch von seinem Freund zurechtgewiesen worden war. Die anderen beiden lachten.
    Ich bin keine Hure, dachte ich, sprach es jedoch nicht aus. Sie hätten nur noch mehr gelacht.
    Es gab nur zwei Türen im oberen Stockwerk. Die Decke war so niedrig, dass ich nicht aufrecht stehen konnte. Es roch nach Ruß und Bier.
    Ich stieß die rechte Tür auf und betrat ein kleines dunkles Zimmer, in dem es außer einem riesigen, mit schmutzigen Laken bedeckten Strohlager nichts gab. Zwischen acht und zehn Menschen passten hinein, schätzte ich, doch noch war ich allein im Zimmer. Ob es noch andere Gäste gab, wusste ich nicht.
    Einen Moment zögerte ich, dann legte ich mich ganz an den Rand des Lagers. Das Stroh war alt und roch feucht, aber Ungeziefer bemerkte ich keines, und in diesem Gasthaus würde es sicherer und wärmer sein als auf der Straße.
    Ich schloss die Augen und dachte an die Worte des Soldaten. Schwester Maria würde mir helfen, hatte er gesagt. Ich war mir nicht sicher, was das zu bedeuten hatte. Die Ahnung, die seit dem kurzen Gespräch in mir aufstieg, verbannte ich dorthin, wo ich auch all das andere verbarg, an das ich nicht denken wollte.
    Mit der Dunkelheit kamen die Frauen, mit denen ich mir das Zimmer teilte. Wir begrüßten uns und rückten nahe zueinander, sodass wir uns gegenseitig wärmen konnten.
    Alle Frauen waren mit Händlern oder etwas wohlhabenderen Bauern verheiratet, die nicht vor der Stadt übernachten mussten. Sie kannten sich untereinander, tauschten Geschichten aus und sprachen mich nur selten an. Ich ließ ihre Stimmen an mir vorbeiziehen, bis sie mich in den Schlaf säuselten.
    Noch vor Sonnenaufgang wachte ich auf. Ich war es nicht gewohnt, mit so vielen Menschen in einem Raum zu schlafen, und ihr Schnarchen, Husten, Schniefen und Murmeln hatte mich in der Nacht immer wieder geweckt. Als der Nachtwächter draußen unter dem Fenster den Beginn der sechsten Stunde ausrief, schlug ich meinen Umhang zurück und stand auf. Meine Beine juckten. Ich strich mit den Fingerkuppen über meine Waden und spürte kleine Schwellungen. Das Stroh war wohl doch nicht so sauber, wie ich gehofft hatte.
    Die Frau neben mir drehte sich seufzend um und zog an ihrem Umhang, als ihre Seite schlagartig abkühlte. Ich fuhr mir durch die Haare und verließ das Zimmer. Im Gang war es noch dunkler als im Schlafraum. Ich tastete mich am Geländer entlang die Stiege hinunter.
    Der Wirt und seine Frau lagen in der Schankstube vor der Feuerstelle und schliefen. Ein paar Holzscheite glommen noch darin, und ich spürte die vergehende Wärme des Feuers auf meinen Wangen. Mein Magen knurrte, doch in der Dunkelheit konnte ich nicht sehen, ob irgendwo ein Kanten Brot vom Abend zuvor lag. Also zog ich leise die Tür auf und verließ

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