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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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erdfarbener Tracht, und trugen den schweren Kessel hinaus. Die Nonne folgte ihnen, den Korb mit den Brotkanten an ihre Brust gedrückt wie einen Schatz.
    Der Saal leerte sich rasch. Niemand sprach ein Wort. Ich drehte mich zu Schwester Johannita um und konnte immer noch nicht glauben, dass ich ihr an diesem Ort begegnet war. Sie hatte uns nie den Namen des Klosters genannt, in dem sie lebte, aber Mutter und ich hatten immer geglaubt, es läge irgendwo auf dem Land.
    Sie ließ mich warten.
    Erst, als außer uns fast niemand mehr im Saal war, nickte sie mir zu. »Komm.«
    Ich folgte ihr durch eine schmale Tür, durch die vor uns nur wenige Nonnen gegangen waren. Die meisten hatten den Weg gewählt, über den ich in den Saal gekommen war.
    Schwester Johannita bog in einen anderen, schmaleren Gang ein. Sie wurde langsamer, sodass ich zu ihr aufschließen konnte.
    »Ihr wisst ja noch gar nicht, was geschehen ist, oder?«, fragte ich, um das Schweigen zu beenden. »Weshalb ich hier bin und was mit …«
    Sie fuhr herum, und ich konnte nicht einmal mehr blinzeln, so schnell warf sie mich gegen die Wand, um mir dann den Arm gegen die Kehle zu drücken. »Niemand wird erfahren, dass wir uns kennen«, zischte sie mir ins Gesicht. Ich versuchte mich gegen ihren Druck zu wehren, aber sie war stark wie ein Keiler. »Wenn du erzählst, dass wir uns kennen und dass ich dich Lesen und Schreiben gelehrt habe, mache ich dir das Leben hier zur schlimmsten Hölle, die du dir vorstellen kannst.«
    Ich antwortete nicht. Ihr Atem roch sauer und nach vergammeltem Fleisch.
    »Niemand wird es erfahren, hörst du? Niemand!«
    Ich versuchte zu nicken, aber mein Kinn stieß gegen ihren Arm.
    Schwester Johannita starrte mich an, dann trat sie einen Schritt zurück. »Komm!«
    Ich folgte ihr. Meine Kehle brannte, und mein Verstand versuchte vergeblich, Sinn in das zu bringen, was gerade geschehen war. Weshalb wollte Schwester Johannita verheimlichen, dass sie diejenige gewesen war, die mir Lesen und Schreiben beigebracht hatte. Hatte ich vielleicht so wenig gelernt, dass sie befürchtete, meine schlechten Leistungen würden auf sie zurückfallen?
    Eine andere Erklärung fand ich nicht, aber sie passte, wenn ich daran dachte, wie Schwester Maria im Refektorium meinen Fehler auf sich genommen hatte. Vielleicht verhielten sich Nonnen untereinander so. Ein seltsamer Ort war das, an dem der Fehler der einen die Schuld der anderen war. Es würde mir schwerfallen, mich daran zu gewöhnen.
    Wir bogen in einen dunklen gemauerten Gang ein. Schwester Johannita nahm eine Kerze aus ihrer Halterung an der Wand, zündete sie an und steckte danach den Zunderkasten wieder in den kleinen Beutel, der neben dem Rosenkranz an ihrem Gürtel hing.
    »Hier sind die Zellen der Novizinnen«, sagte sie, als wäre nichts geschehen. Mit der Kerze deutete sie auf einige schmale Holztüren. »Du wirst dir deine mit zwei anderen teilen.«
    Sie blieb vor einer der Türen stehen, in die ein kleines vergittertes Fenster in Kopfhöhe eingelassen war. Mir fiel der Riegel auf, mit dem man die Tür von außen versperren konnte.
    Schwester Johannita stieß die Tür auf, ohne anzuklopfen. Im trüben Licht der Kerze sah ich einen kleinen Raum mit einem einzelnen winzigen Fenster hoch oben in der gegenüberliegenden Wand. Darunter befanden sich drei mit Vorhängen voneinander getrennte Schlafstätten. Auf der linken und mittleren saß jeweils ein Mädchen mit kurz geschorenen Haaren und in langen, erdfarbenen Unterröcken. Beide sprangen auf, als wir eintraten.
    »Schwester Johannita«, sagten sie gleichzeitig. Ich glaubte, Angst in ihren atemlosen Stimmen zu hören.
    »Schwester Klara, Schwester Alfonsa, das ist Ketlin. Sie wird ab jetzt bei euch schlafen.«
    »Ja, Schwester.«
    Es war den Mädchen anzusehen, dass ihnen das nicht gefiel. Wahrscheinlich hatten sie sich längst angefreundet, tuschelten und flüsterten abends vor dem Einschlafen miteinander. Und plötzlich mischte sich eine Fremde in die vielleicht einzige Zeit des Tages, in der sie ungestört waren. Ich verstand, dass sie das nicht erfreute.
    Ich musste mich mit ihnen anfreunden. Wir würden viel Zeit miteinander verbringen.
    Schwester Johannita blieb im Türrahmen stehen. »Die Vorhänge bleiben zugezogen während du dich umziehst und während du schläfst. Trägst du ein Unterkleid?«
    »Ja, Schwester.«
    Ich blieb vor der freien Schlafstätte stehen. Jemand hatte auf die Vorhänge mit Ruß ein großes schwarzes Kreuz

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