Die Nonne und der Tod
Kapelle füllten die Nonnen rasch die Bänke. Keine einzige setzte sich, selbst die Äbtissin kniete mit gesenktem Kopf vor dem Altar. Ich stellte mich neben die Tür, so wie Schwester Johannita befohlen hatte. Einige Nonnen sahen mich aus den Augenwinkeln neugierig an, als sie die Kapelle betraten, doch die meisten beachteten mich nicht, sondern gingen nur müde zu ihren Plätzen.
Die Anordnung war nicht zufällig. Die leitenden Nonnen knieten direkt vor dem Altar, hinter ihnen die geweihten und hinter denen die Novizinnen. Die Konversinnen, die wahrscheinlich die meisten anfallenden Arbeiten im Kloster erledigten und von denen zwei im Refektorium den Kessel hinausgetragen hatten, nahmen nicht am Gebet teil. Insgesamt, so schätzte ich, hatten sich rund hundert Nonnen in der Kapelle versammelt. Der Zisterzienserinnenorden bewohnte ein großes Kloster.
Ich betrachtete den Altar, während der Gesang der Frauen und Mädchen, geführt von der Vorsingerin, lauter wurde, bis er die ganze Kapelle ausfüllte. Er war rotbraun, aus glänzend poliertem Kirschbaumholz geschnitzt und mit Gold verziert. Das Kreuz mit dem Christus daran war viel kleiner als das im Refektorium, aber dafür blickten seine Augen nicht leer zu mir herab, sondern gütig und voller Mitgefühl.
Willst du, dass ich dir diene?, fragte ich lautlos. Ist das meine Berufung?
Der Ausdruck der Augen änderte sich nicht. Ich lauschte in mich hinein, hörte jedoch nur meinen eigenen Atem und spürte nichts außer Müdigkeit. Wenn der Messias mir seine Wünsche mitteilte, dann tat er es auf so sanfte Weise, dass ich es nicht bemerkte.
Der Gesang der Nonnen schraubte sich in die Höhe, als wolle er zum Himmel selbst emporsteigen. Ich schloss die Augen und ließ mich von ihm mitziehen, stellte mir ein Leben in dieser Gemeinschaft vor und entdeckte zu meiner Überraschung, dass mich der Gedanke nicht mehr schreckte. Selbst den Worten meiner Zimmergenossin nahm der Gesang auf einmal die Schärfe. Vielleicht war dies das Zeichen des Erlösers, auf das ich gehofft hatte.
Nach einem kurzen stummen Gebet endete die Andacht. Die Nonnen erhoben sich aus ihrer knienden Haltung, die älteren ächzend und langsam, die jungen schnell und ungeduldig.
Schwester Maria, die dem Chor vorgestanden hatte, ging hinter der Äbtissin an mir vorbei. Während mich die ältere Frau ignorierte, schenkte sie mir ein kurzes Lächeln, als wollte sie mir versichern, dass sie mir den Fehler im Refektorium nicht nachtrug. Ich war froh darüber. Im Dorf war ich als Außenseiterin aufgewachsen, doch ich wollte nicht mein ganzes Leben so verbringen.
Ich behielt mein eigenes Lächeln bei, während die Nonnen schweigend die Kapelle verließen. Schwester Johannita war die letzte.
Sie blieb neben mir stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Blick auf mich gerichtet. »Bist du in dich gegangen?«
»Ja, Schwester.«
»Weißt du nun, welche Rolle dir der Heiland in dieser Welt zugedacht hat?«
»Ich hoffe es, Schwester.«
Es war eine gute Antwort, nicht zu stolz, nicht zu unsicher. Ich sah Schwester Johannita an, dass sie ihr gefiel.
»Und?«, fragte sie.
»Ich will versuchen, ihm eine gute Braut zu sein und euch allen eine gute Schwester.«
Sie schwieg einen Moment und musterte mich.
»Wir werden sehen«, sagte sie dann. In ihren Worten schwang etwas mit, das ich nicht zu deuten wusste. Zweifel vielleicht oder Unbehagen, ich war mir nicht sicher.
Gemeinsam gingen wir zurück zu der Zelle, die ich mir mit Schwester Klara und Schwester Alfonsa teilte. Ich legte mich wieder auf meine Strohmatratze und achtete darauf, dass meine Hände über der dünnen Decke lagen. Die beiden anderen Novizinnen ignorierten mich, drehten noch nicht einmal den Kopf, als ich eintrat. Ich fragte mich, was sie wirklich über mich wussten und was sie nur glaubten zu wissen. Die Wut, die ich über ihre Worte empfunden hatte, war verschwunden, hinweggetragen von dem Gesang der Nonnen. Ich würde nicht über Klara und Alfonsa urteilen, so wie sie über mich urteilten. Ich würde offenen Herzens auf sie zugehen, so wie es der Heiland sicher wünschte.
Ich werde dieses Leben annehmen, dachte ich, als Schwester Johannita die Tür schloss und der Raum in Dunkelheit versank. Dies wird mein Zuhause.
Erneut wurden wir mitten in der Nacht geweckt und mussten uns wieder der Prozession in die Kapelle anschließen. Dieses Mal widmeten sich die Nonnen dem Gebet, und am Ende las die Äbtissin aus der Bibel vor.
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