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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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nahm einen Holzlöffel heraus. »Hier«, sagte sie leise. »Der gehört von nun an dir. Achte gut darauf.«
    Ihre Ernsthaftigkeit erschien mir beinahe lächerlich. Es musste Hunderte dieser einfachen Löffel im Kloster geben. Aber ich schwieg und nickte.
    Sie führte mich zu einem der Tische und wies die Nonnen, die dort saßen, mit einer kurzen Geste an, Platz zu machen. Sie gehorchten, ich setzte mich auf die Bank und sah in die Gesichter, die mich umgaben. Sie waren jung und voll. Ich lächelte, und zwei von ihnen lächelten zurück. Eine dritte Nonne reichte mir einen Kanten Brot und schob den Topf näher zu mir, sodass ich herankam. Ich bemerkte die Fettaugen auf der Suppe und das Wintergemüse, das in der dampfenden Flüssigkeit schwamm. Hungrig begann ich zu essen.
    Wie lange hatte ich schon nichts mehr gegessen? Einen Tag, zwei? Ich war mir nicht sicher. Die Zeit seit der Flucht aus dem Dorf bestand fast nur aus Wortfetzen und einzelnen Bildern, die ich kaum noch in einen Zusammenhang bringen konnte.
    Die Suppe wärmte mich, das Brot füllte meinen Magen. Beides schmeckte nach nichts, doch ich wurde satt, alles andere zählte nicht.
    Ich schluckte ein Stück Brot hinunter und sah die junge Novizin neben mir an. »Bist du aus Coellen?«, fragte ich.
    Meine Stimme hallte durch den Saal.
    Die Augen der Nonnen, die um mich herumsaßen, weiteten sich. Einige duckten sich, so als erwarteten sie den Schlag einer Peitsche.
    Ich ließ den Löffel sinken. Hinter mir, in der Stille des schweigenden Saals, wurde ein Stuhl zurückgeschoben. Die Nonnen sprangen von ihren Bänken auf. Die Sohlen ihrer Holzschuhe schlugen hart auf den Holzfußboden.
    Ich stand ebenfalls auf und drehte den Kopf, um zum Podest zu sehen, auf dem die Äbtissin nun hinter ihrem Tisch stand und die Hände auf die Holzplatte stützte. Das Kreuz, das um ihren Hals hing, schwang vor und zurück. Es sah wertvoll aus.
    Die Nonnen rechts und links von ihr standen mit gesenkten Köpfen da. Der ganze Saal schien das Urteil für ein Verbrechen zu erwarten, das ich nicht verstand.
    »Schwester Maria«, sagte die Äbtissin mit einer Stimme, die feucht und heiser klang, »scheint vergessen zu haben, dir die Regeln unseres Ordens zu erläutern. Wir sprechen nicht während der Mahlzeiten, sondern verbringen sie in stummer Dankbarkeit für den Großmut unseres Herrn, der uns mit solchen Speisen segnet.«
    Sie richtete sich auf und ging mit langsamen Schritten auf die Stufen zu, die vom Podest nach unten führten. »Und«, sagte sie, als ich schon glaubte, sie würde nichts mehr hinzufügen, »wir fressen nicht wie die Schweine.«
    Die Nonnen um mich herum richteten ihre Blicke fest auf ihre gefalteten Hände, doch ich sah einige Mundwinkel zucken. Meine Wangen fühlten sich heiß an. Ich wollte mich entschuldigen, aber Schwester Maria kam mir zuvor. In ihrer dunklen Kutte eilte sie der Äbtissin entgegen.
    »Es ist mein Versäumnis«, sagte sie. »Ich wollte das Mädchen nach dem Nachtmahl einweisen, aber …«
    Mutter Immaculata hob die Hand. »Erklärungen sind nicht notwendig, Entschuldigungen schon gar nicht. Ich habe dich mit deinen Aufgaben überfordert und mich der Sünde des Stolzes schuldig gemacht. Der Herr wird mir im Gebet offenbaren, wie ich am besten dafür Buße tue. Bis dahin …«, sie nickte einer der beiden Nonnen, die ihr wie Schatten folgten, zu, »… wird Schwester Johannita das Mädchen einweisen.«
    Es war, als träfe mich ein Schwall kalten Wassers mitten ins Gesicht. Ich starrte die Nonne an, die nun den Kopf hob und ihren Blick auf mich richtete.
    »Möge der Herr mir die Kraft geben, dieser Aufgabe gerecht zu werden«, sagte Schwester Johannita mit ihrer kalten, hässlichen Stimme.
    Das Abendmahl endete, als Mutter Immaculata den Saal verließ. Die Nonnen, die es mir nicht gleichgetan und »wie ein Schwein gefressen« hatten, würden diesen Tag wohl nur halb gesättigt beenden. Einige von ihnen trugen fast volle Schüsseln zurück zu dem großen Kessel, der nahe am Eingang stand, und schütteten die Suppe hinein. Andere schlugen Brotkanten sorgfältig in Tuch ein. Überwacht wurden sie dabei von einer hochgewachsenen, nicht mehr ganz jungen Nonne, die keine von ihnen aus den Augen ließ. Als alles zusammengeräumt war, klatschte sie in die Hände. Zwei Mädchen, bei denen es sich um Konversinnen handeln musste, Nonnen aus dem einfachen Volk, die jene aus den besseren Ständen bedienten, liefen in den Saal, barfuß und in schlichter,

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