Die Nonne und der Tod
arbeitete allein, aß allein. Zwar ging ich immer noch mit den anderen Nonnen und Novizinnen zu den Gebeten und Gottesdiensten, die das Stundenbuch vorschrieb, aber niemand warf mir auch nur einen Blick zu. In den ersten Tagen suchte ich noch Kontakt zu anderen, aber selbst Benedikta wandte sich von mir ab.
»Lass mich in Ruhe«, sagte sie leise, als wir uns beim Waschen unseres Habits begegneten. »Der Umgang mit dir ist nicht gut für mich.«
Danach sprach ich sie nicht mehr an.
Jeden Morgen nach dem Frühstück brachte mir Schwester Johannita die Pergamentstücke, die ich an diesem Tag abzukratzen und zu reinigen hatte. Meistens warf sie die Pergamente auf den Boden und schloss die Zellentür, manchmal sagte sie ein paar Worte zur Erklärung, jedoch nie mehr. Kein persönliches Wort äußerte sie, nicht einmal Häme oder Genugtuung. Sie schien in mir nur noch die Funktion zu sehen, die ich zu erfüllen hatte. So wie man eine Schaufel benutzt, um ein Loch zu graben, benutzte sie mich, um Pergament zu reinigen. Das Recht auf Ansprache hatte ich offenbar verwirkt.
Anfangs störte mich das nicht, im Gegenteil, ich genoss es, Schwester Johannita Fragen zu stellen, die sie auf knappste Weise zu beantworten versuchte. Nach einer Weile durchschaute sie mich jedoch und ging auf meine Fragen gar nicht mehr ein. Ich dachte darüber nach, mich mit dummen Fehlern und zerlöcherten Pergamenten zu rächen, aber ich befürchtete, dass sie mir die Arbeit wegnehmen würde, und davor hatte ich Angst. Ohne die Pergamente und die Gebete hatte ich nichts, was mir den Tag verkürzte.
Meine Freistunde verbrachte ich in den ersten Tagen noch mit den anderen im Refektorium. Dort wurde genäht und gestickt, Wolle gesponnen und Holz geschnitzt. Man saß zusammen, ohne zu sprechen, nur gelegentlich fiel ein Wort.
Erst dort erkannte ich das Ausmaß meiner Bestrafung, denn selbst in dieser Gemeinschaft war ich nicht mehr willkommen. Wer an einem Tisch saß, dem ich mich näherte, stand auf und ging zu einem anderen, Blicke, die ich denen zuwarf, die ich kannte, blieben unbeantwortet.
Nur Schwester Maria sprach einige Male mit mir, wenn wir uns allein in einem der Gänge begegneten.
»Mutter Immaculata beobachtet dich«, sagte sie bei einer dieser Gelegenheiten. »Mach weiter wie bisher, schweige und erledige deine Arbeit, dann wird sie die Strafe bald von dir nehmen.«
Bald … Darunter verstand ich ein paar Tage, und so wartete ich jeden Morgen bei ihrer Lesung darauf, dass sie etwas Entsprechendes sagte, doch das geschah nicht. Aus Tagen wurden Wochen, und ich begann, in meinen Freistunden das Kloster zu erkunden, besuchte die Bibliothek und das kleine Hospital, das in einem Nebengebäude untergebracht war.
Als das Wetter besser wurde, führten mich meine Streifzüge auch in die Gärten, jedoch nur, wenn die Konversinnen dort nicht arbeiteten, denn bei ihnen war ich ebenso wenig willkommen wie bei den Nonnen.
Eines Morgens, es war Anfang März, trat ich durch die Kellertür, die in die Gärten führte und blieb stehen, als ich Schwester Agnes sah. Mit einem großen Rechen kehrte sie Laub zusammen, das den Winter lang unter Schnee verborgen gewesen war, und befreite die Pflanzen, die in den Beeten wuchsen, von ihrer Last. Außer ihr sah ich niemanden.
Ich wollte mich abwenden, um einen anderen Weg zu nehmen, aber ihre Stimme hielt mich auf.
»Das wird ein schöner Tag heute«, sagte sie.
Unwillkürlich sah ich mich um, glaubte im ersten Moment, sie habe nicht mich angesprochen, sondern jemand anderen. Doch hinter mir stand niemand.
Ich räusperte mich. »Ja.«
»Wurde auch Zeit. Je älter ich werde, desto kürzer scheinen die Sommer zu sein und desto länger die Winter.« Mit dem Rechen in der Hand ging sie in einen kleinen Verschlag, dessen Tür offen stand. Ich hoffte, dass sie rasch zurückkehren würde, denn meine Freistunde war bald zu Ende, und ich wollte die Unterhaltung so lange aufrechterhalten wie möglich. Mir war nicht klar gewesen, wie sehr ich solche kleinen Momente – Gespräche über das Wetter, Blicke, die sich mir zuwandten und nicht sofort wieder davonhuschten – vermisst hatte.
»Du musst nicht in der Tür stehen, du kannst ruhig näher kommen«, sagte Schwester Agnes, als sie aus dem Verschlag trat. Sie hielt einen Korb in der Hand und kam auf mich zu.
Ich sah an ihr vorbei auf das sorgsam geharkte Beet. Einige Rosmarin-, Thymian- und Liebstöckelbüsche wuchsen dort, alle winterfest und dank der Sonne
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