Die Nonne und der Tod
selbst zu sich befehlen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe viel gebetet in den letzten Wochen, und ich weiß nun, welchen Weg ich einschlagen muss.«
Schwester Maria sah sich um, aber nur die Statuen der Heiligen beobachteten uns. »Wenn du uns verlassen willst …«
»Das will ich nicht. Es geht um etwas anderes.« Ich wollte ihr nicht die Wahrheit sagen, hatte Angst, dass sie mir die Hoffnung, an die ich mich klammerte, rauben würde. Seit dem Gespräch mit Schwester Agnes war ich kaum noch im Garten gewesen, sondern hatte stattdessen meine Freistunden in der Bibliothek verbracht, mit einer Kopie der Benediktinerregel auf den Knien. »Wenn du nur ein gutes Wort für mich einlegen könntest, um mehr bitte ich nicht.«
Schwester Maria war neugierig, das sah ich ihr an, aber sie fragte nicht, um was es ging. »Aber ich kann dir nichts versprechen.«
»Natürlich nicht.« Ich legte ihr die Hand auf den Arm. »Ich danke dir.«
Dann wartete ich.
Der Sünde der Ungeduld konnte ich besonders schwer widerstehen. Bereits am nächsten Morgen rechnete ich fest damit, dass mich Mutter Immaculata zu sich befehlen würde, aber sie las nur eine Regel zur züchtigen Bekleidung vor und begab sich dann mit Johannita, Maria, Ursula und der Pförtnerin Ysentrud in ihre Schreibstube. Auch am Tag darauf beachtete sie mich nicht, und wenn ich versuchte, Schwester Marias Aufmerksamkeit zu erregen, schüttelte sie nur kaum merklich den Kopf. Ich fragte mich, ob das bedeutete, dass die Äbtissin nicht mit mir reden wollte oder Maria sie noch nicht gefragt hatte, aber ich fand keine Gelegenheit, mit ihr allein zu sprechen. Also wartete ich weiter.
Ich erledigte meine Arbeit schneller und gewissenhafter als je zuvor, und wenn ich wusste, dass man mich dabei sehen würde, las ich in der Bibel, wann immer ich Gelegenheit dazu fand, oder betete ausgestreckt auf dem Boden in der Kapelle. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft im Kloster wollte ich etwas, zum ersten Mal hatte ich ein Ziel.
Zwei Wochen vergingen, dann endlich, an einem verregneten, kühlen Sonntagmorgen öffnete sich meine Zellentür, und Schwester Johannita sagte: »Mutter Immaculata wünscht dich zu sprechen.«
Ich folgte ihr zu der kleinen Schreibstube hinter dem Kapitelsaal. Die Äbtissin saß auf einem Holzstuhl mit hoher, unverzierter Lehne am Fenster. Auf dem kleinen Tisch vor ihr lag eine aufgespannte Stickerei, an der Wand hingen ein Kruzifix und ein gerade einmal kopfgroßes Ölgemälde, auf dem die heilige Mutter Maria abgebildet war. Es war ein bescheidener, ernster Raum.
Schwester Johannita schloss die Tür hinter mir. Ich blieb mit gesenktem Kopf stehen und wartete darauf, angesprochen zu werden.
»Du trägst deine Strafe mit Demut«, sagte Mutter Immaculata nach einem Moment. »Das ist mehr, als ich von dir erwartet hätte.«
Ich widerstand der Versuchung, ihr zu danken, stand einfach nur da und schwieg.
»Schwester Maria ist mit der Bitte an mich herangetreten, dich anzuhören.« Die Äbtissin nahm den Gehstock, den sie neben sich an die Wand gelehnt hatte, stand aber nicht auf. »Bedenke Folgendes, bevor du sprichst. Ich werde deine Strafe zum Osterfest aufheben und dich wieder in die Gemeinschaft unseres Ordens holen, wenn du weiterhin Gehorsam und Demut zeigst. Willst du trotzdem sprechen?«
Zwei Wochen waren es noch bis zum Osterfest, und wenn ich wollte, würde danach alles wieder so sein wie zuvor. Mutter Immaculata konnte nicht ahnen, dass es mir davor graute, wieder jeden Morgen die Treppen zum Skriptorium hinaufsteigen zu müssen und endlose Buchstabenreihen zu malen. Eher hätte ich meine Strafe noch hundert Jahre ertragen, doch das durfte sie nicht wissen.
»Ich danke Euch für diesen Hinweis«, sagte ich deshalb nach einem Moment des Zögerns, »doch ich muss aussprechen, was ich in den Wochen der Einkehr und des Gebets gelernt habe.«
Tagelang hatte ich mir die Worte zurechtgelegt. Nun hob ich vorsichtig den Blick und hoffte, dass die Äbtissin bereit war, sie zu hören.
»Sprich«, forderte sie.
»Ich bin keine Dame von Stand«, begann ich. Mutter Immaculata hob die Augenbrauen. »Ich habe zwar die Mitgift einer Dame mitgebracht, aber wir beide wissen, dass sie nur christlicher Nächstenliebe zu verdanken ist und nichts über das Leben aussagt, das ich bis zum Eintritt in diesen Orden geführt habe. Zwischen all den edlen Damen zu leben ist mir zu Kopf gestiegen, und ich habe die Demut und Bescheidenheit vergessen, in der meine
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