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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Sünde des Stolzes schuldig zu machen. Dann machte ich mich auf den Weg zurück ins Skriptorium.
    Die anderen saßen bereits wieder an ihren Pulten und in ihren Fensternischen. Schwester Johannita las langsam und mit vielen Pausen die Bibelstellen vor, die von den Nonnen abgeschrieben werden mussten. Mein Latein reichte nicht einmal aus, um den groben Zusammenhang zu verstehen, und ich fragte mich, ob ich jemals für diese Arbeit taugen würde oder ob ich sie überhaupt wollte.
    Benedikta hatte gesagt, es gäbe kein größeres Glück, als den ganzen Tag umgeben von den Worten des Herrn verbringen zu dürfen. Auf sie traf das wohl zu, aber für mich …
    Ich führte den Gedanken nicht zu Ende, sondern setzte mich wieder Klara gegenüber in die Nische. Immer noch glaubte ich die Kräuter in der Küche zu riechen, und wenn ich durch das schmale Fenster nach draußen in die Klostergärten blickte, meinte ich weiche Erde zwischen meinen Fingern zu spüren und nicht den harten Federkiel. Zuhause im Dorf hatte Mutter mich zwingen müssen, mit ihr auf Kräutersuche zu gehen, doch nun vermisste ich es mehr, als ich für möglich gehalten hätte.
    »Deine Buchstaben sehen sehr schön aus.«
    Ich sah von den vielen »A« auf, die bereits den halben Pergamentrest bedeckten. Benedikta betrachtete meine Arbeit und nickte. »Du solltest den Federkiel öfter anschneiden, damit die Buchstaben gleich viel Tinte bekommnen, doch einen anderen Fehler sehe ich nicht. Schwester Johannita wird zufrieden sein.«
    Ich bezweifelte, dass sie je mit irgendetwas, das ich tat, zufrieden sein würde, trotzdem lächelte ich. »Danke.«
    Unwillkürlich fiel mein Blick auf die »W«, die Alfonsa seit der Prim auf ihr Pergament schrieb. Im Vergleich zu meinen Buchstaben wirkten ihre nachlässig, ja, geradezu hingeschmiert. Ich wusste, dass es falsch war, mich darüber zu freuen, aber ich freute mich.
    Alfonsa ließ ihren Federkiel sinken. »Die sind wirklich sehr schön geworden. Du scheinst ein Talent für das Schreiben zu haben.«
    Ihre Freundlichkeit war unerwartet. Auch Klara beugte sich vor und betrachtete mein Pergament. »Das stimmt. Wenn du so weitermachst, wirst du bestimmt bald an echten Schriften arbeiten können.«
    »Danke«, war alles, was ich darauf sagte. Ich wartete auf eine Gemeinheit, doch die beiden Novizinnen kehrten zurück zu ihrer eigenen Arbeit und schwiegen. Verwirrt sah ich Benedikta neben mir an, aber sie hob nur die Augenbrauen, wusste auch keine Antwort auf meine unausgesprochene Frage.
    Bis zur Sext hatte ich meinen Pergamentrest vollgeschrieben. Vorsichtig legte ich ihn auf die Holzbank, als die Glocke zu läuten begann, und schloss mich Benedikta auf dem Weg zur Kapelle an. Schwester Johannita, die ein Stück hinter mir ging, sprach mich an: »Und wie gehen deine Schreibarbeiten voran?«
    Ich drehte mich zu ihr um, ohne stehen zu bleiben. Zeige keinen Stolz, dachte ich, bevor ich antwortete. »Ich hoffe zufriedenstellend, doch diese Bewertung steht nur dir zu, nicht mir.«
    Benedikta sagte nichts dazu. Sie schien noch mehr Angst vor Schwester Johannita zu haben als ich.
    »Zeige mir deine Arbeit nach dem Gebet, dann werden wir sehen.«
    »Ja, Schwester.«
    »Sie wird nicht enttäuscht sein«, flüsterte Benedikta am Eingang der Kapelle, »da bin ich mir sicher.«
    Schwester Johannita nicht zu enttäuschen war vielleicht der erste Schritt auf dem Weg zu einem besseren Umgang mit ihr. Irgendwie würde ich mit ihr zurechtkommen müssen, und wenn das mit ein wenig Fleiß und Buchstabenreihen zu erreichen war, würde ich mir damit die größte Mühe geben.
    Wir sangen die Hymnen und lauschten den Psalmen, dann öffneten sich wieder die Türen der Kapelle. Ich hielt mich neben Benedikta und schob die Hände in die Ärmel meiner Tracht, um sie vor der Rückkehr ins Skriptorium zu wärmen. Jemand schloss zu uns auf. Als ich den Kopf drehte, sah ich, dass es Klara war.
    »Kannst du mir zeigen, wie du den Gänsekiel hältst?«, fragte sie leise. »Deine Striche wirken viel ebenmäßiger und fester als meine. Ich glaube, dass das an meiner Fingerhaltung liegt.«
    »Gerne.« Ich antwortete vorsichtig, während ich mit Blicken nach Spott in ihrem Gesicht suchte. »Wenn wir im Skriptorium sind, zeige …«
    »Nein, ich möchte nicht, dass die anderen das sehen, vor allem nicht Alfonsa.« Klara senkte den Kopf. »Du weißt ja, wie sie ist.«
    »Ja.«
    Sie hatte ihren Gänsekiel mitgebracht, also zeigte ich ihr auf dem Weg, wie ich die

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