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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Mutter mich erzogen hat.« Die Lügen flossen leicht und rein wie Quellwasser über meine Lippen. Ich schämte mich dafür, sprach aber trotzdem weiter. »Ich habe versucht, etwas zu sein, was ich nicht bin.«
    »Eine bemerkenswerte Erkenntnis für ein so junges Mädchen.« Schwer auf ihren Stock gestützt, stand Mutter Immaculata auf. »Dann willst du uns also verlassen?«
    »Nein.« Ich hatte geahnt, dass sie zu diesem Schluss kommen würde. »Meine Berufung liegt hier in diesem Orden, ich habe sie nur an der falschen Stelle gesucht.«
    Die Äbtissin machte einen Schritt auf mich zu. Ich hatte ihre Neugier geweckt, das konnte ich sehen. »Sprich weiter.«
    »Wie Ihr wisst, tauge ich nicht zum Schreiben, und das bisschen Latein, das ich kann, hat mir ein Gaukler beigebracht. Ich gehöre nicht ins Skriptorium zwischen all die gebildeten und edlen Damen. Ich gehöre zu den Niedrigsten unter uns, zu denen, die den Rücken beugen und mit ihren eigenen Händen die Erde bearbeiten. Bei ihnen liegt meine Berufung.«
    »Du willst zu den Konversinnen?« Mutter Immaculata klang ungläubig.
    »Ja, ehrwürdige Mutter. Ich möchte Schwester Agnes in den Gärten helfen, denn dies ist der Platz, den der Herr für mich ausgesucht hat. Das spüre ich in meiner Seele.«
    Die Äbtissin blieb vor mir stehen und legte die Hände auf den Knauf ihres Stockes. Ihr Blick glitt über mein Gesicht, traf den meinen und verharrte.
    »Ich mag dich nicht«, sagte sie.
    Ich schluckte.
    Mutter Immaculata wandte sich von mir ab und sah aus dem Fenster in die Klostergärten. »Deine Abstammung ist mir ein Graus, und ginge es diesem Kloster besser, hätte ich dich mitsamt deines Geldes schon am ersten Abend auf die Straße gesetzt.« Sie wandte sich wieder zu mir um, und ihr Krötengesicht wirkte beinahe angewidert. »Das macht dich jedoch nicht zu etwas Besonderem. Am liebsten würde ich die meisten jungen Mädchen, die von ihren Familien hier abgegeben werden, rauswerfen. Verwöhnte, arrogante Gören, für die Gebete nur Worte sind und die keine Berufung kennen außer der, ein Leben ohne jede Anstrengung zu führen.«
    Sie machte eine Pause, aber ich versuchte nicht auf das, was sie gesagt hatte, zu antworten.
    »Und nun kommst du und bittest mich, das Leben, was du dir erkauft hast, wieder aufgeben und ein einfacheres, beschwerlicheres wählen zu dürfen. Manche würden dir das als Stolz auslegen und als Verstoß gegen dein Gehorsamsgelübde.«
    Mein Mund wurde trocken. Bitte nicht, dachte ich.
    »Aber ich gehöre nicht zu ihnen«, fuhr Mutter Immaculata fort. »Im Gegenteil, ich wünschte, du wärest nach all den Jahren nicht die Erste, die mich darum bittet, und ich wünschte ebenso, ich könnte in meinem Herzen genügend Liebe aufbringen, um dich zu mögen.« Sie lächelte. »Ich würde unseren Herrn Jesus Christus darum bitten, aber ich kenne ihn lang genug, um zu wissen, welche Wünsche er mir gewährt und welche nicht.«
    Ich erwiderte ihr Lächeln nur vorsichtig, denn ich fürchtete, ich könnte so kurz vor dem Ziel noch einen Fehler begehen, der mich zurückwerfen würde in den Kerker, aus dem ich gerade zu entkommen suchte.
    Die Äbtissin stampfte einmal mit dem Stock auf den Boden. Sie schien das oft zu tun, denn in den Holzdielen rund um den Tisch sah ich Dellen.
    »Also gut«, sagte sie. Es klang endgültig. »Du wirst morgen nach der Prim in den Gärten anfangen. Ich rede noch mit Schwester Agnes. Als Zugeständnis an deinen … Gönner wirst du weiterhin in deiner Zelle leben und dir nicht den Schlafsaal mit den Konversinnen teilen. Die Mahlzeiten nimmst du mit uns im Refektorium ein, damit wir sehen können, wie du dich entwickelst. Ich bestehe auch darauf, dass du die Gebetszeiten einhältst. Du wirst dein Seelenheil nicht nur in körperlicher Arbeit finden. Bist du bereit dazu?«
    »Ja.« Ich hörte ihr kaum zu. Das Blut rauschte mir im Kopf, und ich war so erleichtert, dass ich gegen Tränen kämpfen musste. »Ich danke Euch, ehrwürdige Mutter.«
    Sie wandte sich wieder dem Fenster zu. »Vielleicht bin ich es, die dankbar sein sollte«, sagte sie leise.
    Ich verstand nicht, was sie damit meinte.
    »Also wurden meine Gebete erhört«, sagte Schwester Agnes am nächsten Tag, als ich die Gärten betrat.
    Ich lächelte. »Und die meinen.«
    Sie zeigte mir die Beete, den Obsthain, die Brombeerhecken an der Mauer und die Johannisbeersträucher hinter dem Schuppen. Ich sah einige Konversinnen, die Laub zusammenharkten oder Beete für

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