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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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in den letzten Tagen bereits so weit, dass man einige Blätter pflücken konnte. Sogar ein Hirtentäschel entdeckte ich zwischen ihnen.
    Schwester Agnes stellte den Korb neben sich und ging langsam in die Hocke.
    »Was siehst du hier?«, fragte sie und zeigte mit dem kleinen Messer, das sie aus dem Gürtel gezogen hatte, auf eines der anderen Beete.
    Ich ging näher heran. »Schnittlauch, Petersilie, Liebstöckel«, sagte ich. »Und das neben dem Dill müsste Bärlauch sein, aber die Blätter sind noch so klein, dass ich mir nicht sicher bin.«
    Schwester Agnes zeigte keine Reaktion. »Und wozu ist Bärlauch gut, außer als Gewürz in Schwester Ursulas Sommerquark?«
    »Bärlauch reinigt das Blut«, sagte ich. Es war, als würde der Anblick grüner Blätter und der Geruch der Erde Wissen zurückbringen, das ich längst vergessen geglaubt hatte, Worte, die Mutter mal mit Nachdruck, mal nebenbei, wenn wir in der Stube saßen, geäußert hatte. Es war alles noch in meinem Kopf. Einen Moment lang war die Sehnsucht nach einem Leben, das ich nie wieder führen würde, so groß, dass mir die Kehle eng wurde.
    Schwester Agnes hielt im Schneiden der Kräuter inne. »Das ist richtig. Schwester Bonifacia setzt ihn im Hospital ein, wenn jemand Probleme mit der Verdauung hat.«
    Sie schnitt einige winzige Liebstöckelblätter ab und legte sie in den Korb. Dann rutschte sie auf Knien ein wenig über die Erde zu dem Hirtentäschel.
    »Hier gibt es wirklich zu viel Unkraut«, sagte sie und streckte die Hand aus, als wolle sie die Pflanze aus dem Boden ziehen.
    »Warte!«, rief ich. »Das ist kein Unkraut.«
    Schwester Agnes sah auf. »Und was ist es deiner Meinung nach?«
    Ich glaubte, Abneigung in ihrer Stimme zu hören. Die Konversinnen wurden von vielen Nonnen herablassend und bevormundend behandelt. Ich wollte nicht, dass sie mich zu ihnen zählte, dass sie das Gespräch abbrach, aber ich war mir sicher, dass ich recht hatte.
    Trotzdem ging ich neben ihr in die Knie und betrachtete den dürren, fast schon blattlosen Stängel genauer, bevor ich antwortete. »Es ist ein Hirtentäschel.«
    »Und was glaubst du, kann man damit anfangen?«
    Die Worte meiner Mutter kehrten in meinen Geist zurück. »Die Blätter können gegen Scharbock helfen, sind dafür aber nicht so gut geeignet wie der Feigwurz. Besser, man wendet die Blätter bei Leuten an, die zu Schlagfluss neigen. Aber sie sind auch sehr schmackhaft, ein wenig wie die getrockneten Pfefferkörner, die man auf den Gewürzmärkten …«
    Ich ließ den Satz im Nichts enden, als ich die Falten rund um Schwester Agnes’ Augen sah.
    »Aber das weißt du genau, oder?«, sagte ich stattdessen.
    Sie lachte. »Aber ich wusste nicht, ob du es weißt. Jetzt sind wir beide schlauer.«
    Ich stimmte in ihr Lachen ein. Es klang in meinen Ohren ungewohnt, beinahe fremd, und ich fragte mich, wann ich zum letzten Mal gelacht hatte. Ich wusste es nicht mehr.
    Schwester Agnes stützte sich schwer auf meine Schulter und stand auf. »Ich könnte dich hier gebrauchen«, sagte sie. »Die Konversinnen, die Mutter Immaculata mir schickt, können meistens nicht einmal Lavendel von Magengold unterscheiden.«
    Ich erhob mich ebenfalls. »Meinst du das ernst?«
    »Natürlich. Du müsstest ihre Gesichter sehen, wenn ich sie bitte, Brennnesseln zu pflücken. Als ob …«
    Ich unterbrach sie. »Das meine ich nicht. Würdest du mich wirklich hier mit dir arbeiten lassen?«
    Schwester Agnes zögerte, so als habe sie Angst, etwas ausgesät zu haben, das niemals aufgehen konnte. »Dein Wissen und deine Jugend wären mir eine große Hilfe«, sagte sie dann vorsichtig, »aber du gehörst ins Skriptorium mit einer Feder in der Hand, nicht in die Gärten.« Sie winkte mit einer schwieligen, roten Hand ab. »Das ist die gottgegebene Ordnung der Dinge, ob hier drinnen oder draußen in der Welt. Wenn du auf einmal in den Gärten arbeiten würdest, wer weiß, wann die erste Konversin auf die Idee käme, Schreiberin zu werden. Mutter Immaculata versteht das, deshalb würde sie niemals erlauben, dass eine Dame von Stand anfängt, im Dreck zu wühlen.«
    Ich nickte, aber meine Gedanken kreisten noch immer um Agnes’ Worte, als ich bereits zur Prim die Hymnen sang.
    Eine Dame von Stand.

Kapitel 14
    »Ich glaube nicht, dass sie mit dir reden möchte«, sagte Schwester Maria, als ich sie einige Tage später heimlich im Kreuzgang ansprach. »Wäre sie der Ansicht, dass du zur Einsicht gekommen bist, würde sie dich schon von

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