Die Nonne und die Hure
die Regeln des heiligen Benedikt einzuhalten. Bis eines Tages eine junge Nonne zu mir in dieBeichte kam und berichtete, sie sei von ihrem Abt in schamloser Weise berührt worden.«
»War es …«, begann Celina.
»Ja, es war Nanna Tarabotti. Als sie sich geweigert habe, ihm zu Willen zu sein, habe er sie geschlagen, eingesperrt, sogar in Ketten gelegt und gequält. Kurze Zeit später habe er ihr ein Löwenzeichen in den Oberschenkel gebrannt. Schließlich sei sie so zermürbt gewesen, dass sie sich ihm hingegeben habe. Später sei sie an fremde reiche Herren vermittelt worden, unter anderem an einen deutschen Kaufmann namens Alois Breitnagel. Der Abt habe Hunderte von jungen, meist hübschen Nonnen missbraucht und gequält. Manchmal hätten sie sich nackt vor ihm ausziehen müssen, und er hätte sich die Schönsten herausgesucht. Das Geld, das er durch den Hurenhandel verdiente, habe er mit Mitgliedern des Zehnerrats verprasst.«
»Einiges davon ist sicher nach Rom geflossen«, warf Celina ein. Sie hatte geahnt, dass etwas Furchtbares hinter dieser Sache stecken musste.
»Warum habt Ihr den Abt nicht angezeigt?«, fragte sie.
»Ich musste das Beichtgeheimnis bewahren. Überdies sagte Nanna mir, dass Lion sie mit dem Tode bedroht habe, für den Fall, dass sie etwas über seine Machenschaften verriete. Ich habe die ganze Zeit mit mir gerungen, konnte es aber nicht über mich bringen, mit jemandem darüber zu sprechen. Es hätte ihr Ende bedeuten können.«
»Irgendjemand muss dem Abt etwas zugetragen haben, denn sie wurde ja ermordet«, sagte Celina.
»Die beiden ersten Mädchen, die im Kanal gefunden wurden, mussten gar nicht getötet werden. Sie haben sich Gift besorgt, weil sie das Leben so nicht mehr ertrugen. Wer sich dem Abt widersetzte, wurde eingesperrt, geschlagen und auf alle erdenkliche Art misshandelt.«
»Ach, deswegen waren keine Besuche in dem Kloster erlaubt«, sagte Celina.
»Einige Mädchen mögen sich selber mit Gift das Leben genommen haben«, rief Christoph. »Aber Nanna wurde erwürgt, dafür gibt es eindeutige Beweise.«
»Das habe ich nicht weiter verfolgt«, sagte Murare. »Ich war selber drauf und dran, den Strick zu nehmen. Nur die Verantwortung gegenüber Gott und meinen Mönchen hat mich davor bewahrt. Zutrauen würde ich es Lion allerdings, wenn er es auch nicht selbst getan haben wird.«
»Der Mann mit der Totenmaske muss ein gedungener Mörder gewesen sein«, folgerte Celina. »Und er war auch derjenige, der mich verfolgt und bedroht hat, um mich von meinen Nachforschungen abzuhalten.«
»In dem Augenblick, als Ihr das erste Mal bei mir auftauchtet, war mir schon eine große Last vom Herzen gefallen. Ich wusste, Ihr würdet nicht ruhen, bis die Angelegenheit geklärt ist. Heimlich hatte ich mir Euer Buch besorgt, Celina Gargana, und ich muss sagen, ich bewundere Euren Mut, so offen über Euer Schicksal berichtet zu haben«, sagte Murare.
»Es wurde auf den Index gesetzt und wird demnächst der Verbrennung anheimfallen« versetzte Celina. »Wisst Ihr etwas über die Rolle, die meine Verwandten dabei spielten und spielen?«
»Eugenio und Faustina Gargana? Nein, darüber weiß ich leider nichts Näheres.«
Celina wurde immer wütender. »Sagt mir noch eines, ehrwürdiger Abt: Warum musste einem Mädchen wie Nanna so etwas passieren, und mir, die ich doch unter ähnlichen Umständen aufgewachsen bin und ins Kloster kam, erging es ganz anders?«
»Gottes Wege sind unerforschlich, mein Kind. Vielleicht war es ihre Sünde, die sie von Gott getrennt hat?«
»Das glaube ich nicht«, meinte Christoph. »Ich glaube eher, Celina hat von ihrer Erziehung und ihrem Charakter her einfach die Standfestigkeit gehabt, den Anfechtungen zu widerstehen. Wäre sie einfach so, ohne Rückhalt, aus dem Kloster geflohen, hätte sie möglicherweise das gleiche Schicksal ereilt wie die anderen.«
»Wir müssen zu einem Schluss kommen«, mahnte Brinello. »Die Anklage gegen uns lautet auf Hochverrat, nehme ich an.«
»Ja, Ihr solltet zusammen mit den Büchern öffentlich verbrannt werden, und zwar am 16. November.«
»Das ist ja schon in sechs Wochen«, entfuhr es Celina.
»Ich kann Euch hier nicht länger verstecken«, sagte der Abt. Er zitterte kaum merklich.
»Wir müssen nun alles wagen«, sagte Brinello mit fester Stimme. »Es ist der einzige Weg, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.«
»Du meinst …«, setzte Christoph an.
»Wir müssen uns den Signori della Notte freiwillig stellen.
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