Die Nonne und die Hure
Strick. Und zwar in einem größeren Korb.«
»Wird das nicht auffallen?«
»Nein, ich habe ja mehr als nur einen Gefangenen zu versorgen. Bei der Gelegenheit werde ich deine Freunde gleich in den Plan einweihen.«
»Sollen wir uns vielleicht vom Dach in den Hof oder in den Kanal abseilen?«, fragte Christoph. »Hast du nicht selbst gesagt, das sei lebensgefährlich?«
»Sei beruhigt, es ist alles wohldurchdacht. Während des Nachmittags, wenn der Lärm vom Markt durch die Räume des Palastes dringt, wirst du auf einen Stuhl steigen und ein Loch in die Decke schlagen. Darüber liegen Bleiplatten, die sich mit einiger Kraftanstrengung anheben lassen. Den anderen habe ich ein Seil in den Korb gelegt. Heute Nacht istVollmond, so dass ihr euch gut auf dem Dach bewegen könnt.«
»Und dann? Wie kommen wir vom Dach herunter?«
»Das Seil knüpft ihr um eine der Essen. Ihr lasst euch nacheinander hinunter, aber nicht bis in den Hof, denn dort stehen zwei Wachen, sondern zum Kanal, in dem ein Boot auf euch warten wird.«
»Warum tust du das alles für uns?«
»Kannst du es dir nicht denken? Weil ihr für mich Brüder und Schwestern im Geiste seid«, erwiderte Andriana mit ernstem Gesicht.
Am Abend besuchte Andriana Christoph erneut.
»Heute Nacht ist es soweit«, sagte sie und stellte den Korb mit Lebensmitteln auf den Boden. Nach einer Weile erschien der Wärter, schaute in den Korb hinein, brummelte etwas Unverständliches und verschwand mit Andriana. Christoph wartete. Die Glocke des Markusdomes schlug zehnmal, elfmal. Er stieg auf einen Stuhl und begann, mit dem Hammer und dem Meißel ein Loch in die Decke zu klopfen. Immer wieder hielt er inne und lauschte. Hoffentlich bemerkte niemand von den Wachen etwas. Der Putz rieselte unaufhörlich auf ihn herab. Wenn er innehielt, hörte er wie ein Echo ein anderes Klopfen in der Nähe.
Schlag zwölf war das Loch fertig und breit genug, ihn hindurchzulassen. Ein Schwall kalter Luft kam in die Zelle hinein. Ein Seil wurde herabgelassen. Er packte es mit beiden Händen, schlang seine Beine darum. Die Hanffasern des Strickes schnitten in seine Hände. Endlich war sein Kopf in der Öffnung an der Decke; noch ein Stück weiter, und er sah den Sternenhimmel über sich. Der Halbmond über der schwarzen Lagune beleuchtete das Dach des Dogenpalastes. Hans und Brinello standen als schemenhafteGestalten neben ihm. Auf dem Dach erkannte Christoph zwei der Bleiplatten, die herausgenommen worden waren.
»Der erste Teil ist geschafft«, flüsterte Christoph. »Jetzt müssen wir nur noch von diesem verfluchten Dach herunterkommen.«
Er folgte Brinello und Hans, setzte vorsichtig Fuß vor Fuß über das bleigedeckte Dach. Sie gingen in nordöstlicher Richtung. Giudecca, Lido und die ferneren Inseln ragten schattenhaft aus dem Meer. Brinello machte halt. Sie standen oberhalb vom Rio del Palazzo; die Seufzerbrücke verband den Palast mit dem angrenzenden Gefängnis.
Der Abt brüllte vor Schmerz auf, rollte von Celina herunter und hielt sich mit beiden Händen den Unterleib.
»Du verdammte Hure!«, schrie er. »Das wirst du mir büßen!«
Er holte aus und schlug ihr mit den bloßen Händen ins Gesicht. Es tat höllisch weh, und warmes Blut floss ihr aus der Nase. Im Nu war das Bett mit roten Flecken übersät.
»Glaub nur nicht, dass ich auf dich angewiesen bin«, polterte Lion weiter. Aufgebracht rannte der Abt aus dem Zimmer und schloss hinter sich zu. Celina war es speiübel. Sie zog sich zum Bettrand und erbrach sich. Lange Zeit blieb sie so liegen. So weit war sie nun gekommen. Hatte sie etwas getan, was den Abt gereizt haben könnte? Oder reagierte er auf jede Frau in dieser Weise? Was mochte er nur mit Nanna oder den anderen Nonnen angestellt haben? Wieso verkehrte der Doge von Venedig mit ihm? Warum hatte Lion einen Raum im Dogenpalast, in dem er so widerliche Dinge treiben konnte? Von dem Glauben an die Liebe war nichts übrig geblieben, ihr Leben lag in Trümmern. Nie mehr würde sie unbeschwert durch die Welt gehen können. Derweil übten Lion, Eugenio und Faustina weiterhin ihre schändlichen Taten aus. Am liebsten wäre sie tot gewesen,so sehr schämte sie sich, so erniedrigt und ausgenutzt fühlte sie sich. Die Tage mit Christoph auf der Insel fielen ihr ein. Das war eine andere Welt gewesen, da hatte sie noch geglaubt, dass sich alles zum Guten wenden würde. Christoph hatte sie mit der Aussage Tullia d’Aragonas geneckt, dass die platonische Liebe unendlich sei,
Weitere Kostenlose Bücher