Die Nonne und die Hure
kirchlichen Allmachtsanspruch.«
»Wir müssen aber mit äußerster Vorsicht vorgehen«, wandte Christoph ein. »Es darf nicht ruchbar werden, welche Ziele wir verfolgen.«
»Was sind denn das für Ziele?«
Christoph senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Wir wollen die Reformation in Italien und in ganz Europa unterstützen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Jetzt gehen wir erst einmal in die Stadt und schauen, dass wir etwas zu essen und trinken finden«, entschied Hans. Nein, ich will mich nicht ablenken, dachte Christoph. Er spürte einen Krampf in der Brust. Am liebsten hätte er sich unsichtbar gemacht. Wäre er doch in der Steinlawine gestorben; ihre Bewegung war am Ende. DieBrüder waren in höchster Gefahr. Wieder sah er brennende Menschen an Pfählen vor sich. Aber nein, es nützte niemandem etwas, wenn er sich verkroch und sich selbst bemitleidete. Nicht umsonst hatte er studiert und diese Reise in den Süden gemacht. Christoph straffte die Schultern, sah Hans lächelnd in die Bernsteinaugen und sagte: »Gehen wir!«
Sie liefen durch Gassen und über viele kleine Brücken zum Markusplatz. Überall drängten sich Menschen, trotteten schwer bepackte Esel, lagerten die Waren der Händler in den Fenstern und vor den Türen. Hans erzählte ihm etwas über den Deutschen Handelshof. Das Fondaco dei Tedeschi sei immer Eigentum der Venezianer gewesen, berichtete er.
»In alten Chroniken trägt es die Bezeichnung ›Il nostro Fondaco dei Tedeschi‹.« Die deutschen Kaufleute sind jedoch keine Gäste in diesem Haus – sie müssen dort absteigen, ob sie wollen oder nicht.«
»Ich musste meine Waffen abgeben«, sagte Christoph.
»Dadurch wird deine Rolle als Gast festgehalten – und du begibst dich in den Schutz der Stadt. Einmal im Monat werden die Kammern kontrolliert, erstens, um festzustellen, ob die Waffen abgeliefert sind, und zweitens, um sich zu vergewissern, dass die Waren ordnungsgemäß deklariert und verzollt wurden.«
»Warum diese Umstände?«
»Dadurch verschafft sich die Stadt eine Möglichkeit, gleich zweimal den Zoll zu kassieren, erst auf die Einfuhr, dann auf die Ausfuhr.«
»Und wer leitet das Ganze?«
»An der Spitze der Verwaltung stehen die ›Visdomini‹, das sind ›Nobili‹, aus den alten venezianischen Adelsfamilien. Ihnen stehen rechtskundige Schreiber und Notare zur Seite«, erklärte Hans.
»Was werde ich zu zahlen haben?«, wollte Christoph wissen.
»Heute sind es neun Dukaten im ersten und zweiten Stock, acht Dukaten im dritten Stock und im Gewölbe. Die Nürnberger Kaufleute fanden diesen Betrag überhöht; sie wandten sich daher an den Rat ihrer Stadt, der sich mit der Signoria in Verbindung setzte und schließlich bewirkte, dass der Mietzins heruntergesetzt wurde.«
9.
Der Markusplatz beeindruckte Christoph allein schon durch seine Größe. Auch das Gold des Domes und das fein gewebte Weiß des Palazzo Ducale machten einen großen Eindruck auf ihn. Die Reichen trugen purpurfarbene Togen, die übrigen Männer farbenprächtige enge Strümpfe und Wämser aus Samt. Ein Grummeln im Bauch erinnerte ihn daran, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte.
Hans lachte ihn an. »Du scheinst Hunger zu haben. Komm, ich kenne eine kleine Taverne in Dorsoduro. Da treibt sich ein etwas anderes Volk herum als hier.«
Sie verließen den Markusplatz und strebten durch die engen Gassen, vorbei an einem Hafen, in dem Gondel neben Gondel schaukelte, eine prächtiger ausgestattet als die andere. Über eine gewundene Holzbrücke gelangten sie über den Canale Grande in einen anderen Stadtteil. Hier sah alles ein wenig ärmlicher aus. Ein Palazzo fiel Christoph auf, der wie aus düsteren Augen auf den Kanal hinaus träumte.
»Das ist der Palazzo di Gargana«, erklärte Hans. »Er gehörte den Garganas, die auf dem istrischen Meer mit ihrem Schiff untergegangen und verschollen sind. Im Rat spricht man davon, dass der Bruder von Luigi Gargana, Eugenio, alles erben werde.«
Über den Piazzalo Barbaro kamen sie zu einer Taverne, deren Wirt seine Tische auf die Gasse hinaus gestellt hatte. Es war Christoph schon aufgefallen, dass die Venezianer ihre Mahlzeiten und ihre Geschäfte am liebsten auf der Straße abhielten. Sie ließen sich an einem der Tische nieder.Hans sprach den Wirt auf Venezianisch an, worauf der einen Wortschwall von sich gab und wild gestikulierte.
»Es gibt Polenta aus Kastanienmehl und zwei Arten von Suppen aus Brot, Bohnen und Kichererbsen. Heute ist
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