Die Nonne und die Hure
ausgesprochen unverschämt.
Christoph hob eine Hand, als wolle er Celina besänftigen. Ohne zu überlegen, trat Celina auf Nanna zu und hob ihre Tunika samt dem Unterkleid hoch. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen und hatte es doch geahnt: Auch auf Nannas Oberschenkel war ein Löwe eingebrannt.
»Kannst du mir erklären, wie dieses Zeichen dahin kommt?«, fragte sie lauter, als sie beabsichtigt hatte.
»Lasst mich in Ruhe, sonst fange ich an zu schreien«, entgegnete Nanna. »Dann läuft das ganze Kloster zusammen,und ihr werdet hinausgeworfen oder eingesperrt. Ihr seid widerrechtlich hier eingedrungen!«
»Du wirst jetzt nicht schreien«, sagte Christoph drohend. »Sondern uns ganz ruhig erzählen, was es mit diesem Löwen auf sich hat.«
»Also gut«, räumte Nanna ein. »Meine Familie führt ein Wappen, das aus eben diesem Löwen besteht. Es steht für die Macht, die diese Familie in der Stadt hat. Meine Schwester und ich haben uns in jungen Jahren den Spaß erlaubt und es uns von einem Bader einbrennen lassen.«
»Und das sollen wir dir glauben?«, fauchte Celina. »Sag jetzt endlich die Wahrheit, bevor ich die Geduld verliere!«
Sie hob die Hand, als wolle sie Nanna schlagen. Das Mädchen duckte sich. Celina fuhr über sich selbst erschrocken zurück. So weit hatten die Umstände sie also getrieben! Sie wurde ein wenig ruhiger.
»Nanna«, sagte sie eindringlich. »Weißt du, dass mit diesem Zeichen ein Verdacht auf dich fällt? Wir könnten das in der Stadt publik machen.«
Nanna sackte in sich zusammen. »Also gut«, meinte sie. »Es gibt jemanden, der mehr darüber weiß. Es ist der Abt, Frederico Cornelli.«
»Ist das der Abt dieses Klosters?«
»Ja.«
»Und wer war der Mann, den wir in der Kirche gesehen haben?«
»Ach, da seid ihr hereingekommen. Ich meinte doch, zwei huschende Schatten an der Wand gesehen zu haben.«
Celina fuhr zusammen. Ob noch jemand sie bemerkt hatte?
»Nun, wer ist er?«, drängte sie weiter.
»Es ist ein Priester, der bei uns ab und zu Messen abhält.«
»Wie kommen wir an den Abt Cornelli heran?«
Nanna seufzte, dann breitete sich ein Lächeln auf ihremGesicht aus. »Ich kann ganz gut mit ihm umgehen. Wenn ihr wollt, könnte ich für morgen ein Treffen mit ihm arrangieren.«
»Das wäre schön, Nanna. Doch sag, warum siehst du so …«, sie suchte nach einem Wort, »… derangiert aus?«
»Die blauen Flecken?« Nanna wurde ernst. »Ich sagte doch, bei der Arbeit werden wir ganz schön rangenommen. Ora et labora, wie du weißt. Beim Holzhacken und beim Versorgen des Viehs kann es schon mal passieren, dass einen ein Scheit oder der Huf eines Tieres trifft.« Ihr Gesicht war erstarrt. Sie wirkte, als trage sie ein furchtbares Geheimnis mit sich herum.
»Gut, Nanna«, sagte Celina versöhnlich, weil sie begriffen hatte, dass es keinen Sinn hatte, weitere Fragen zu stellen. »Um welche Stunde sollen wir morgen kommen?«
»Um die elfte. Zu dieser Stunde empfängt der Abt gewöhnlich Besucher. Aber komm allein, Celina, der Abt liebt es nicht, mit mehr als einer Person zu sprechen.«
»Ich werde Celina auf jeden Fall begleiten«, warf Christoph ein. »Das wird der Abt erlauben müssen.«
»Ich versuche mein Mögliches«, antwortete Nanna. Dann erklärte sie ihnen den Weg, wie sie das Kloster am besten wieder verlassen sollten.
Celina atmete tief die Nachtluft ein, nachdem sie es geschafft hatten, unbemerkt nach draußen zu gelangen. Ihr war, als könne sie noch immer einen Hauch von Weihrauch riechen. Ein Liebespaar lehnte im Schatten einer Wand und küsste sich innig. Celina schaute nicht genauer hin, aber sie konnte sich denken, dass es eine Nonne mit ihrem Liebhaber war. Sie machten sich auf den Weg zur Gondel. Tatsächlich wartete der Mann auf sie. Er war eingeschlafen, lag leise schnarchend auf dem Boden seines Bootes. Sie weckten ihn. Christoph versprach, um elf beim Kloster Convertite auf Celina zu warten.
17.
Um elf Uhr am nächsten Tag trafen die beiden am Kloster Convertite zusammen. Celina hatte sich von einer der Fischerfrauen Kleidung gekauft und war durch Nebengassen geschlichen, um nicht erkannt zu werden. Der Pförtner, ein älterer Mönch mit einem glattrasierten, rosigen Gesicht, teilte ihnen mit, dass der Abt sie schon erwarte. Er wies auf ein Haus, das nicht weit vom Dormitorium lag. Als sie das Gebäude erreichten, sahen sie, wie sich Cornelli von einem älteren Mann mit hagerer Gestalt verabschiedete. Beim Fortgehen warf er ihnen einen
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