Die Nonne und die Hure
Macht über andere zu haben. Macht und Besitz.
»Die Bücher, die nicht beschlagnahmt worden sind, befinden sich in ihren Verstecken«, sagte Brinello. »Die Frage, die ich euch stellen möchte, ist diese: Sollen wir uns dem Diktat der Kirche beugen und unsere Druck- und Verlagstätigkeit einstellen, oder sollen wir uns – offen oder versteckt – dagegen auflehnen und weitere Bücher drucken und unters Volk bringen?«
»Letzteres ist unsere einzige Möglichkeit«, antwortete Christoph. »Sie dürfen uns nicht kleinkriegen, dann wären unsere Männer umsonst gestorben. Wie viele Märtyrer sind für ihren Glauben in den Tod gegangen? Hätte das Christentum überlebt, wenn nicht so viele dafür mit Leib und Leben eingestanden wären? War nicht das frühe Christentum bei den Römern eine Ketzerei?«
»Haltet ein«, sagte einer der Männer. »Ich habe Weib und Kinder zu Hause, ich kann ihnen den Vater und Ernährer nicht nehmen. Sollen wir unsere Familien ebenfalls den Schergen ausliefern, sie dem Tod, dem Hunger und dem Verderben anheimgeben?«
Andere stimmten ihm zu, redeten durcheinander.
»So schlimm muss es gar nicht kommen«, besänftigte Corregio die Männer. »Wir brauchen einen Ort, an dem wir ungestört drucken können. Die Verteilung an die Leser kann auf ähnlichem Weg geschehen wie bisher, indem wir weiter vorgeben, mit anderen Waren zu handeln.«
»Wie wäre es, wenn du, Corregio, in unserem Namen eine Erklärung an die Signoria gibst, dass wir uns aller ketzerischen Tätigkeiten enthalten?«, schlug Christoph vor.
Hans setzte hinzu: »Und ich werde meinem Onkel fragen, ob er uns weiterhelfen könnte. Ich weiß, dass Verlass auf ihn ist.«
»Es ist ein äußerst gefährliches Unterfangen«, erklärte Corregio. »Aber wir müssen diesen Weg gehen, sonst ist all unser bisheriges Streben umsonst gewesen.«
Ein Fischerboot näherte sich der Insel. Als es näher kam, sah Christoph die Zornesröte im Gesicht eines alten Mannes, der es steuerte. Er landete, zog das Boot aufs Ufer und musterte die Männer, einen nach dem anderen.
»Was werden denn hier für Versammlungen abgehalten?«, fragte er misstrauisch. »Habt Ihr überhaupt eine Erlaubnis, hier zu angeln?«
»Wir haben darüber beraten, an welchen Stellen der Lagune man am besten fischen kann«, meinte Corregio. »Die Erlaubnis des Zehnerrates haben wir eingeholt.« Er zeigte dem Mann ein Stück Papier, das von einem Mitglied des Rates unterschrieben war.
Er ist klug, dachte Christoph, er sichert sich ab bei allem, was er tut.
Immer noch misstrauisch kniff der Mann die Augen zusammen. Er rümpfte die Nase.
»Für meinen Geschmack riecht es hier nach Verrat«, sagte er, zog sein Boot vom Strand, schwang sich hinein und ruderte in die sonnenüberflutete Lagune hinaus.
20.
Nach Ablauf von sechs Tagen erreichten Andriana und Celina eine Kreuzung in den Bergen. Sollten sie auf dem Pilgerweg weiterreiten, obwohl hier so viele Menschen unterwegs waren? Es war auf jeden Fall anstrengend, aber die anderen Pilger boten einen gewissen Schutz vor marodierenden Räubern und Männern, die sich ihnen in anzüglicher Weise näherten. Sie berieten sich abends, als sie in der überfüllten Gaststube einer Herberge saßen, eingehend miteinander.
»Der Pilgerweg führt von Berceto durch die Toscana und Montefiascone. Ich aber will nach Florenz«, gab Celina zu bedenken.
Einer der Pilger kam ihnen zu Hilfe. »Der Vatikan hat inzwischen eine Schrift für Pilger herausgegeben, einen Ratgeber mit dem Weg und Hinweisen auf Raststätten und kirchliche Sehenswürdigkeiten, Reliquien zum Beispiel.«
»So etwas brauchen wir nicht«, setzte Celina dagegen. »Wir finden unseren eigenen Weg.« Andriana stimmte ihr zu, und so machten sie sich am nächsten Tag auf den Weg nach Florenz, der goldenen Stadt, von der Celina schon viel gehört hatte.
Der Tag war noch nicht angebrochen, als sie durch die Straßen der Stadt ritten, begleitet vom Rumpeln der Karren, die mit Waren beladen zum Markt fuhren. In den Türen der Häuser erschienen Marktweiber mit langen geblümten Kleidern, Schürzen und bunten Hauben. Der Buchladen, in dem sie die Abschrift der Ordensregeln kaufen sollten, lag nahe der Ponte Vecchio. Sie betraten den Laden, der voller Regale mit Büchern war, alter gebundenerHandschriften, lateinischer und deutscher Bibeln sowie Berichten der Seefahrer. Hier schien das Bücherverbot noch nicht mit aller Strenge durchgeführt worden zu sein. Ein altes Männchen sprang
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