Die Nonne und die Hure
… gegen die Sünden des Fleisches und der Gedanken … die Sarabaiten, eine ganz widerliche Art von Mönchen. Den Befehlen des Abtes sollen alle Folge leisten, ohne Murren und mit freudigem Herzen. Die Mönche sollen sich dem Treiben der Welt entziehen und nach dem Grundsatz ora et labora leben. Sie lehnen jedweden Besitz ab. Die Begierden des Fleisches darf man nicht befriedigen. Das dürfte allen gemeinsam sein.«
»Und alle gemeinsam dürften dieses Gebot schon einmal gebrochen haben«, warf Celina ein.
»Die Geißelungen und Selbstkasteiungen dienen dazu, diese Bedürfnisse abzuwehren.«
»Das muss doch zu einer Seelenverklemmung führen«, sagte Celina.
»Du hast gar nicht so unrecht«, entgegnete Andriana. »Nimm die Ritter und ihre Ideale: Mut und Tapferkeit, Durchhaltevermögen, Schutz der Schwachen, zum Beispiel der Pilger im Heiligen Land, zu deren Geleit die Tempelritter angetreten waren – und die Liebe als eine ›Himmelsmacht‹, die sich mit dem Irdischen nicht beschmutzen sollte. Die Minnesänger haben eine solche Liebe besungen.«
»Ich kenne einige ihrer Liebeslieder.« Eine leichte Röte flog über Celinas Gesicht. »Ich selbst spüre ebenfalls diesen Zwiespalt. Das wilde Leben in Venedig, insbesondere zur Zeit des Karnevals, hat mich abgestoßen. Und gleichzeitig hat es mich mit aller Macht angezogen.«
»Gott hätte uns nicht mit diesen Möglichkeiten ausgestattet, wenn wir keinen Gebrauch davon machen sollten! Hättest du nicht genauso eine Kurtisane werden können wie eine Nonne? Eine Dichterin statt einer entsprungenen Häretikerin?« Auf Andrianas Gesicht erschien ein Lächeln.
»Ich glaube, wir haben den göttlichen Auftrag, das Niedere und Gemeine in uns zu besiegen, um zu einer höheren Art des Menschseins zu gelangen.«
»Diese Dinge biegt sich ein jeder so zurecht, wie er sie haben will. Und legt sie nach seiner eigenen Überzeugung aus. Ich persönlich plädiere für die Liebe, und zwar in all ihren Variationen.«
»Ach, Andriana«, Celina stand auf. »Wir werden uns da nicht einigen können. Lass uns zur Herberge gehen und morgen unseren Weg nach Rom fortsetzen.«
»Du bist nicht nur das hehre Wesen, das du meinst zusein«, sagte Andriana. »Ich glaube, du verstehst nicht, warum ich das geworden bin, was ich bin. Ich werde dir während unserer Reise noch einiges berichten müssen.«
Celina wollte es gar nicht hören. Warum bedrängte Andriana sie mit diesen Fragen? Tullia d’Aragona und auch andere Dichter und Philosophen hatten geschrieben, die seelische, die platonische Art der Liebe sei allen andren Arten überlegen. Und daran glaubte sie, unerschütterlich.
Hinter Viterbo in Richtung Rom erwies sich die Überquerung der Monti Cimini als ein Problem. Ihr Reisegeld war bis auf wenige Dukaten aufgebraucht, so dass sie die Pferde verkaufen und zu Fuß weitergehen mussten. Sie wählten den schwierigen und steilen Weg durch Kastanienwälder. Weit unten lag das dunkle Auge eines Sees, umgeben von Vulkangestein.
21.
Während sie durch einen Kastanienwald wanderten, sprachen die beiden Frauen miteinander über ihr Leben.
»Warum bist du eine Kurtisane geworden, Andriana?«, fragte Celina.
»Ich bin Kurtisane geworden, weil ich es wollte«, antwortete Andriana. »Beziehungsweise, weil meine Mutter es so wollte. Sie hat sich von meinem Vater, der uns beide schlecht behandelt hat, getrennt und ist nach Rom gegangen, um Kurtisane zu werden. Sie hat mich angeleitet. Es ist das, was ich am besten kann.«
»Hättest du dich nicht als Dienstmädchen verdingen können? Oder einen Mann deiner Wahl heiraten?«
»Beides wollte ich nicht. Dienen hätte ich in beiden Fällen müssen. Als Ehefrau bist du deinem Mann vollkommen ausgeliefert. Es gibt nur zwei Berufe, in denen eine Frau unserer Zeit einigermaßen frei ist: den der Begine und den der Kurtisane.«
»Das leuchtet mir schon ein. Aber ist es nicht auch demütigend, sich Männern hinzugeben, ohne sie zu lieben? Was machst du, wenn du älter wirst? Warum bekommst du keine Kinder? Was machst du, wenn Männer gewalttätig werden?«
»Das sind viele Fragen auf einmal.«
Andriana lachte. »Es geht mir nicht um die körperliche Liebe, es geht um eine verfeinerte Beziehung zwischen den Geschlechtern.«
»Du meinst, gemeinsames Lesen von Büchern, Philosophieren?«
»Ja, das meine ich. Zu deiner zweiten Frage: Wenn ichälter werde, kann ich immer noch einem Haus mit Freudenmädchen vorstehen und dafür sorgen, dass es ihnen gut
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