Die Nonne und die Hure
geht. Oder mir jetzt so viel verdienen, dass es ein Leben lang reicht.«
»So frei wäre ich auch gern«, meinte Celina. »Aber einen solchen Schritt würde ich nicht machen.«
»Warum nicht?«
»Weil … es widerstrebt mir einfach, mich zu verkaufen.«
»Recht hast du, wenn du für dich sprichst. Jeder muss wissen, wie er glücklich wird.«
»Wir haben einiges Geld ausgegeben auf dieser Reise«, sagte Celina. »Wir müssen schauen, dass wir mehr sparen.«
Andriana schluckte. »Ja, ich muss meinen Lebensstil etwas einfacher gestalten. Heute übernachten wir in einer Hütte, das kostet uns keinen Scudo. Zu deiner letzten Frage: Ich bekomme keine Kinder, weil ich Akazienblätter zusammenrolle und an eine entscheidende Stelle stecke. Ich habe ein Kind, eine Tochter, wie du ja weißt. Sie lebt bei einer Bauernfamilie in den Bergen, und ich lege jede Woche etwas für sie zurück, damit sie einmal eine gute Mitgift hat.«
»Dann wünschst du ihr dein Schicksal also nicht?«
»Nein, keineswegs. Ein guter Mann mit ausreichendem Einkommen ist dem auf jeden Fall vorzuziehen. Es kann gut sein, dass ich einen meiner Liebhaber heirate. Die von uns so bewunderte Tullia d’Aragona hatte ebenfalls einen Sohn, und sie stammte ebenfalls von einer Kurtisane ab, von einer ehrbaren Frau.«
»Was tust du nun, wenn Gewalt im Spiel ist?«
»Für den Fall, dass ein Mann gewalttätig wird, habe ich mein Messer im Gürtel. Meist genügt es, wenn ich es ihm zeige.« Andriana zog einen kleinen diamantbesetzten Dolch aus ihrer Kutte. »Notfalls kann ich den auch versetzen. In den Kreisen, in denen ich verkehre, spielt Gewaltnormalerweise keine Rolle. Wir Frauen brauchen aber einen gewissen Schutz. Wenn wir keinen Mann oder keinen Verwandten haben, der diese Aufgabe übernimmt, müssen wir uns gegenseitig schützen, wie es die Frauen in Bologna getan haben.«
Die Dämmerung senkte sich rasch herab. Die beiden Frauen teilten sich einen Parmigiano und einen halben Laib Brot, tranken Wein aus einem Lederbeutel und fanden bald eine Hütte, in der sie die Nacht verbringen konnten.
Am nächsten Tag waren sie früh wach, verließen den Unterstand und stiegen den Berg hinunter. Gegen Mittag standen sie auf einer Anhöhe, die mit Gras bewachsen war. Unter ihnen breitete sich Rom aus mit dem mächtigen, noch im Bau befindlichen Dom. Celina war überwältigt von der Größe und Ausdehnung der Stadt. Von der langen Wanderung fühlte sie sich jedoch sehr müde und erschöpft.
Beim Eintreffen in der Heiligen Stadt kam es ihr vor, als seien alle Pilger der Welt an diesem Tag an diesen Ort gekommen. Sie sah in Hunderte von wildfremden Gesichtern. Keiner nahm Notiz von ihnen. Celina erinnerte sich daran, dass die Stadt unter Papst Julius II. einen Aufschwung genommen hatte. Alles wirkte sauber und gepflegt, die Fassaden der Kirchen waren neu verputzt, die Plätze weit, mit kunstvollen Brunnen geschmückt, deren Figuren Wasserfontänen spien. Andriana fragte einen Passanten, was die Menschenmassen zu bedeuten hatten, und bekam zur Antwort: Papst Pius IV. werde heute seinen Segen aussprechen.
Die beiden Frauen erreichten die Porta del Popolo und wurden mitgerissen vom Strom der Menschen über den Campo de Fiori bis zum Vatikan. Die Stadt war festlich geschmückt; überall waren Blumengirlanden aufgehängt, Zitronenbäume säumten in großen Kübeln die Straßen,und die Menschen waren in ihre Sonntagskleider gehüllt. Besonders fielen Celina die vielen jungen, schönen, reich gekleideten und geschmückten Frauen auf, die an der Seite von ebenso vornehm gekleideten Männern durch die Straßen stolzierten oder in prachtvollen Kutschen fuhren. Sie waren stark geschminkt und trugen Schuhe mit hohen Sohlen. Aus den Gesprächen mit Andriana wusste Celina, dass es die berühmten Kurtisanen der Stadt waren. Sie kamen aus den italienischen Provinzen, aber auch aus dem Ausland, aus dem Reich der Franken, dem Heiligen Römischen Reich und aus den slawischen Ländern, um hier ihr Glück zu machen. Meist waren sie von niederem Stande und hatte keine andere Möglichkeit, an eine Mitgift zu kommen. Als Dienst- oder Schankmädchen hätten sie schwere Arbeit leisten müssen und wenig verdient. Für Celina aber wäre es undenkbar, so zu leben. Aber was war ihr Weg? Wo sollte das alles hinführen? Vor dem Petersdom, einer fünfschiffigen Basilika, füllten Tausende von Gläubigen den Platz. Stundenlang warteten sie auf das Erscheinen des Heiligen Vaters, aßen nichts,
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