Die Nonne und die Hure
tranken kaum. Viele beteten oder geißelten sich. Endlich erschien der Papst auf dem Mittelbalkon am Fenster seines Gemachs. Auch aus der Ferne bemerkte Celina, dass sein Gesicht eingefallen war und einen mürrisch-traurigen Ausdruck hatte. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, die Nase war lang und spitz, sein Bart bauschte sich wie Watte um das Kinn. Er war mit einer braunen Kappe und einem Skapulier bekleidet, darunter trug er ein weißes Gewand. Mit brüchiger Altmännerstimme verlas er den Segen. Die Menge stand still da, dann begannen die Glocken von St. Peter zu läuten, und vom Nordende des Platzes her näherte sich eine Prozession mit den höchsten Würdenträgern der Stadt. Ihnen folgten zwei Priester mit einer Monstranz. Durch eine Gasse in der Menge zogen sie in die Peterskircheein. Die Menschen folgten in ehrfurchtsvollem Abstand. Immer wieder auf die Knie fallend und betend rutschten sie die Treppe zur Kirche hinauf. Alle Orgeln und kirchlichen Instrumente dröhnten und jubelten.
Als Celina im Inneren der Kirche war, fiel ihr die Großartigkeit des Chores und des Schiffes in die Augen. Vor dem Altar war ein rotes Kreuz mit dem päpstlichen Wappen aufgerichtet. Der Priester begann zu predigen.
»Hört ihr nicht eurer Eltern und anderer Verstorbener Stimme, die mit Klagen und Jammern euch zurufen: Erbarmt euch meiner!«
Andriana gab Celina ein Zeichen. Sie wandten sich um und gelangten aus der Kirche hinaus. Sie drängten sich durch die Masse von Pilgern auf dem Platz, bis sie sich in einer Nebengasse wiederfanden. Hier war es ruhiger, die Geräusche drangen nur noch von Ferne herüber, hier lagen die Schatten der Häuser auf dem Pflaster, und die Sonnenstrahlen fielen schräg zu ihnen herein.
»Wo sollen wir nun den Kardinal finden?«, fragte Celina.
»Ich kenne ihn«, sagte Andriana.
»Hast du …«
»Sorge dich nicht um mich, Celina. Ich werde immer irgendwie allein durchkommen. Aber um dich mache ich mir Sorgen. Du siehst aus wie ein Gespenst. Du brauchst dringend Ruhe. Ich werde jetzt von unseren letzten Scudi eine Kutsche bestellen, mit der wir zum Kardinal fahren.«
Celina wollte abwehren, wollte sagen, dass sie das Geld doch für ihr Essen und ihre Unterkunft brauchten, aber sie fühlte sich zu schwach, um zu widersprechen. Andriana winkte einem Kutscher zu, der gerade auf dem Bock einer Edelkarosse vorbeitrabte. Sie fuhren über den großen Platz, auf dem sich die Menschenmassen inzwischen verlaufen hatten. Eine Gruppe von weißen und grauen Taubenstolzierte herum und pickte Brotreste auf, welche die Pilger zurückgelassen hatten.
Ein Priester stand vor dem Portal der Peterskirche und zählte Münzen in einer Kasse, umgeben von Klerikern in schwarzen Mänteln. Wahrscheinlich sammelte er Geld für den Ausbau des Petersdoms. Der Mann war von großer und knochiger Gestalt, mit einem hageren, zerfurchten Gesicht und einem langen Bart. Die Augen waren schwarz und wirkten wie erloschen. Alles in allem gab ihm das, auch die braune Kutte, die er trug, ein verschlagenes Aussehen. Celina drehte den Kopf zur Seite, um den Priester nicht länger sehen zu müssen.
Eine Weile fuhren sie durch ruhige Nebengassen, bis sie zu einem Haus gelangten, das eine weiße, mit Säulen und Ornamenten verzierte Fassade hatte. Der Kutscher brachte das Pferd zum Stehen und sagte: »Hier ist das Haus von Sebastiano Kardinal Battista. Von welcher Sünde soll er Euch denn befreien?« Er zwinkerte Andriana zu.
»Ich habe eine Nonne entführt«, erwiderte die Kurtisane.
Celina konnte trotz ihrer Müdigkeit kaum ihr Lachen verbergen. Sie hielt sich den Ärmel ihres Reisekleides vor den Mund und kicherte vor sich hin.
»Der Kardinal ist bekannt für sein großes Herz«, meinte der Kutscher und grinste breit. »Es sei denn, ihr wäret eine von den Kurtisanen, denen darf er eigentlich nicht erlauben, mit der Kutsche bei ihm vorzufahren. Das ist verboten.«
»Wir sind einfache Pilgerinnen, wie Ihr seht«, zischte Andriana. Sie zahlte ihm die Fahrt, und die Kutsche rollte davon.
22.
Andriana ergriff den Klopfer, der in Form eines goldenen Löwenkopfes an der Tür des Kardinalshauses angebracht war. Lange Zeit rührte sich nichts.
Celina wurde ungeduldig. »Er ist sicher nicht zu Hause«, sagte sie.
Dann waren Schritte zu hören. Ein dunkelhäutiges Dienstmädchen öffnete ihnen. Es war in ein grünes Kleid aus Atlas gehüllt, darüber trug es eine weiße Schürze. »Was wollt Ihr?«, fragte das Dienstmädchen, als es
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