Die Nonne und die Hure
machte sie sich zusammen mit Christoph auf, um die Eltern der Mädchen zu besuchen und etwas in Erfahrung zu bringen.
Die erste, Familie Este, wohnte in Dorsoduro, nicht weit von der Kirche San Sebastiano. Das niedrige Haus in einer verwinkelten Gasse hatte schon bessere Tage gesehen. Der Putz bröckelte von der Mauer. In dem schmalen Spalt zum Nachbarhaus war Wäsche zum Trocknen aufgehängt. Auf ihr Klopfen öffnete eine Frau mittleren Alters. Sie war abgemagert und hatte große, ängstliche Augen.
»Was wollt Ihr?«, fragte sie.
»Wir kommen vom Zehnerrat«, sagte Christoph. »Es gibt noch ein paar Fragen zum … Tod Eurer Tochter.«
»Wir haben doch schon alles gesagt«, giftete die Frau. »Kann man uns denn nicht in Ruhe lassen?«
Christoph drückte ihr ein paar Scudi in die Hand.
»Es haben sich Umstände ergeben, die eine neue Befragung nötig machten.« Mit einer Bewegung ihres Kopfes bat die Frau sie herein.
»Und wer ist das?« Sie zeigte auf Celina.
»Eine Freundin von mir. Sie hat mir bei den Nachforschungen geholfen«, erklärte Christoph.
In dem Raum, in dem es vor Schmutz starrte, lebten offensichtlich mehrere Personen.
»Zurzeit sind alle ausgeflogen«, meinte Frau Este. »Es ist mühsam genug, heutzutage eine Familie zu ernähren. Nehmt doch Platz.« Sie räumte zwei Stühle frei, die mit Kleidungsstücken bedeckt waren.
»Ach, meine arme Vittoria«, jammerte sie. »Hätten wir sie doch bloß nicht in dieses Kloster gegeben. Aber was blieb uns anderes übrig? Sie trieb sich mit adligen Herren herum. Ich habe ihr immer wieder gesagt: Vittoria, treib esnicht zu weit, wir haben keine Mitgift für dich, und wenn du dich auch noch mit Männern des geistlichen Standes einlässt, kommst du ins Gefängnis.«
»Und was ist dann geschehen?«, fragte Celina.
»Dann hat sie ein Kind bekommen. Das Kleine ziehen wir für sie auf. Gott sei Dank wurde das Kloster Convertite gegründet, das sie aufnahm, trotz ihrer Verfehlungen. Wir konnten nichts für sie bezahlen, aber die Güte des Abtes hat Vittoria gerettet. Ihm müssen wir in Ewigkeit dankbar sein.«
»Aber die Güte des Abtes hat sie nicht davor bewahrt, in einem Kanal gefunden zu werden«, sagte Christoph scharf.
»Das haben wir unserer Tochter, Gott ist mein Zeuge, auch nicht gewünscht. Es war sein Ewiger Ratschluss, sein Name sei gelobt.«
Celina sah Christoph einen Moment in die Augen. Er schüttelte fast unmerklich den Kopf.
»Hatte Vittoria Feinde?«, fragte er.
»O nein, ganz gewiss nicht! Sie war das feinste, frömmste Mädchen, das man sich nur wünschen kann.«
»Mit wem war sie befreundet?«, warf Celina ein. »Hatte sie Männerbekanntschaften?«
»Vittoria kannte Mädchen ihres Alters, die Nonnen in ihrem Kloster. Nein, mit Männern wollte sie nichts mehr zu tun haben!«
»Nur noch eine Frage«, schloss Christoph ab. »Was für ein Mensch war Vittoria?«
»Sie war ein liebes, ruhiges Kind. Tat immer alles, was man von ihr verlangte.«
»Frau Este, wir danken Euch für Eure Auskünfte.«
Als sie draußen auf der Gasse standen, in die kaum Strahlen der mittäglichen Maisonne fielen, meinte Celina: »Den Besuch bei den Eltern der anderen Mädchen können wir uns eigentlich sparen. Sie werden ein ähnliches Schicksal erlitten haben wie Vittoria.«
»Nein, lass es uns versuchen, wenigstens noch bei einer«, antwortete Christoph. »Vielleicht erhalten wir einen Anhaltspunkt, so klein er uns auch erscheinen mag.«
»Eigentlich habe ich ein schlechtes Gewissen«, meinte sie.«
»Warum das denn, um Himmels willen?«
»Ich halte dich von deinen eigenen Angelegenheiten ab.«
»Das lass mal meine Sorge sein.« Christoph lachte und drückte ihren Arm. »Deine Angelegenheiten sind mir wichtiger als meine.«
Die Eltern des zweiten Mädchens mit Namen Arcangela Botticelli wohnten in einem Palazzo in Canareggio. Celina sah auf den ersten Blick, dass die Familie verarmt sein musste. Die Einrichtung war altmodisch, wenn auch sauber. An die Wände waren vergilbte Fresken gemalt. Herr und Frau Botticelli hatten die blassen Gesichter der Adligen. Sie trugen Gewänder aus Brokat und Atlas, die an einigen Stellen kaum merklich geflickt waren. Signora Botticelli bot ihnen Mandelgebäck auf einer Silberschale an.
»Ich kann mir denken, warum Ihr gekommen seid«, sagte sie mit einer tiefen Stimme. »Wir haben uns immer wieder die heftigsten Vorwürfe gemacht. Hätten wir doch Arcangela nicht in dieses Kloster gegeben! Es ist ihr zum Verderben
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