Die Nonne und die Hure
schwörst du, die Wahrheit zu sagen?«
Brinello schien mit sich zu kämpfen. Dann hob er die Hand zum Schwur und sagte: »Ich schwöre.«
»Ihr anderen, Christoph Pfeifer und Hans Leublin, schwört ihr bei Gott, die Wahrheit zu sagen?«
»Ich schwöre«, sagte jeder von ihnen vernehmlich.
»Noch einmal die Frage: Wisst ihr, warum ihr hier seid?«
»Wegen eines Flugblattes, das ich habe drucken lassen und das wir in der Stadt verteilten«, sagte Brinello und blickte dem Ratsherrn dabei in die Augen.
»Wegen eines Flugblatts«, wiederholten die anderen.
»Wir haben auch noch einen anderen Verdacht«, fuhr der Ratsherr fort und fixierte sie nacheinander. »Die fides fiduciosa , die Rechtfertigung, die Gnade, die Hierarchie der Kirche, die Wirksamkeit der Sakramente, das Fegefeuer, die Buße und die Erbsünde sollen auch Gegenstand dieser Verhandlung sein. Der Papst verbietet allen gläubigen Christen, die Bücher Martin Luthers, Johann Calvins,Philipp Melanchthons, Zwinglis, Erasmus von Rotterdams und anderen ketzerischen Autoren zu besitzen, zu lesen oder zu drucken. Seine Heiligkeit, der Papst, fordert zu deren öffentlicher Verbrennung auf.«
Er wies mit dem Finger auf Brinello. »Hast du in deiner Funktion als venezianischer Verleger solche Bücher drucken lassen, sie gelesen und in deinem Besitz gehabt, oder hast du sie noch in deinem Besitz?«
Brinellos Hände zitterten kaum merklich. »Ich habe solche Bücher drucken lassen, sie gelesen und sie sind noch in meinem Besitz. Was jedoch die Gnade, die Hierarchie der Kirche, die Wirksamkeit der Sakramente, das Fegefeuer, die Buße und die Erbsünde betrifft, so sind die in meinen Augen nur eine Auslegungssache und die Anordnung des Papstes rechtfertigt nicht die Vernichtung solcher humaner Güter. Von der Freiheit des Christenmenschen hat Luther gesprochen, und die vertrete ich und werde ich immer vertreten.«
Er ist mutig, und er hat recht, dachte Christoph, doch er redet sich um Kopf und Kragen.
»Du hast vor einigen Tagen Flugblätter mit folgendem Inhalt drucken lassen.« Der Ratsherr entrollte ein beschriebenes Blatt Papier. Christoph erkannte einen von den Bögen, die er in Dorsoduro verteilt hatte.
Der Ratsherr las den Inhalt vor, den Christoph inzwischen auswendig kannte. Drohend reckte Peretti das Kinn vor. »Wie kommst du zu dieser ungeheuerlichen Anschuldigung? Was für ein Komplott soll das sein?«
»Euer hochwohlgeborener Ratsherr von Gnaden unserer Stadt«, sagte Brinello. »Mit diesen Fragen versuche ich herauszufinden, worin diese Verschwörung, wenn man es so nennen mag, im Eigentlichen besteht.«
»Drück dich gefälligst deutlicher aus«, rief Peretti. Sein Gesicht war rot angelaufen. »Wir sind hier nicht in einer theologischen Disputation.«
»Ich habe Beweise dafür, dass Eugenio und Faustina Gargana sich der Aneignung fremden Eigentums schuldig gemacht haben, dass Alois Breitnagel mindestens eine Nonne verführt hat und dass ein Abt dieser Stadt, Lion, wahrscheinlich die toten Mädchen auf dem Gewissen hat, die in den Kanälen gefunden wurden«, antwortete der Verleger.
»Hast du den Verstand verloren?«, schrie Peretti.
»Nein, wahrlich nicht, aber manchmal habe ich den Eindruck, die ganze Welt habe den Verstand eingebüßt. Beruft einen öffentlichen Prozess ein, und Ihr werdet sehen, was dabei herauskommt.«
»Du redest dich um Kopf und Kragen«, sagte der Ratsherr. »Hans Leublin und Christoph Pfeifer – habt ihr dem Verleger Brinello beim Drucken und Verbreiten solcher Schriften geholfen?«
Das ist unser Todesurteil, dachte Christoph. Ihm wurde fast schwarz vor Augen, doch gleichzeitig erfüllte ihn eine rasende Wut. Seit dem Mord an Reinhard hatte er diese Wut immer öfter gespürt.
»Ja, ich habe dem Verleger Brinello geholfen«, sagte er. »Und ich möchte, dass es zu einem öffentlichen Prozess kommt.«
»Du hast gar nichts zu wollen«, herrschte Peretti ihn an. »Was hat der andere zu sagen?«
»Ich habe nichts anderes zu sagen als Brinello und Christoph«, kam es von Hans. »Ich setze, wenn es sein muss, mein Leben dafür ein, die Wahrheit ans Licht zu bringen, die Dummheit und Verblendung aus der Welt zu beseitigen und der Habsucht keinen Vorschub zu leisten. So wahr ich hier stehe. Amen.«
»Amen«, sagte auch Christoph. »Dem habe ich nichts hinzuzufügen.«
Dem Ratsherrn traten fast die Augen aus den Höhlen. »Ihr seid nicht bereit, Buße zu tun, mit der Hand auf derBibel eurem Irrglauben abzuschwören
Weitere Kostenlose Bücher