Die Nonnen von Sant'Ambrogio: Eine wahre Geschichte (German Edition)
Novizenmeisterin das Verhalten Katharinas im Chor in einen Zusammenhang mit dem Verrat Jesu durch Judas Iskariot. Für sie war die Fürstin ein weiblicher Judas, der die Gemeinschaft von Sant’Ambrogio verriet, weil sie nicht an ihre Heiligkeit glaubte und sie an die kirchliche Obrigkeit ausliefern wollte, so wie Judas Jesus dem Hohen Rat ausgeliefert hatte. Der Strick um den Hals wurde in der katholischen Vorstellungswelt mit dem Selbstmord von Judas Iskariot assoziiert, der sich aufgehängt hatte, als ihm die Folgen seines Verrats klar geworden waren.
In der Ordensgeschichte hatte der Strick um den Hals eine ganz andere Bedeutung. Hier ging es nicht um Verrat, sondern um eine große Demutsgeste:[ 14 ] Sich den Strick oder den Gürtel, der den Ordenshabit zusammenhielt, um den Hals zu legen, bedeutete für einen Ordensmann oder eine Ordensfrau, sich absolut zu erniedrigen und sich dem Oberen bedingungslos auszuliefern. Eine derartige zeremonielle Erniedrigung machte es einer Novizin überhaupt erst möglich, einer Vorgesetzten wie der Novizenmeisterin, der sie zu striktem Gehorsam verpflichtet war, inhaltliche Vorhaltungen zu machen. Ein solcher Demütigungsakt zwang den Oberen, seinen Untergebenen anzuhören. Besonders in der Geschichte der franziskanischen Orden war das Zingulum um den Hals ein großer Bußgestus. So wurde berichtet, dass Franz von Paola das Abendmahl nur kniend mit dem Zingulum um den Hals empfing und dies auch seinen Mitbrüdern empfahl.[ 15 ]
Katharina stellte sich bewusst in diese Tradition. Warum aber reagierte Maria Luisa so extrem auf die Vorhaltungen Katharinas? Auch wenn aus den Aussagen der Zeuginnen der genaue Inhalt des Wortwechsels nicht hervorgeht, so wird klar, dass es um den Brief des Americano ging. Die Fürstin war über den anstößigen Inhalt empört, nicht zuletzt, weil auch ihr Avancen gemacht wurden, sie könne wie Maria Luisa «Mutter ohne Gatte» werden. Das hatte sie in ihrer Denunzia eindringlich klargelegt. Aber warum hat die Madre Vicaria die obszönen Formulierungen nicht einfach als kranke sexuelle Phantasien eines Besessenen abgetan, die mit der Realität nichts zu tun hätten? Für wirre Gedanken eines kranken Hirns konnte man sie doch in der Tat nicht verantwortlich machen. Warum hat sie sich nicht gemeinsam mit Katharina über den Brief und seinen Inhalt empört? Dass sie leugnete, Katharina den Brief überhaupt jemals gezeigt zu haben, und später auch den Teufel ins Spiel brachte, als die Fürstin auf der Tatsache bestand, lässt doch vermuten: Der Brief war nicht nur der Phantasie eines Besessenen entsprungen, es war etwas dran an der wirren Rede vom «Mutterwerden ohne Gatte». Dahinter verbarg sich wahrscheinlich nichts anderes als eine sexuelle Beziehung zwischen dem Americano und der Madre Vicaria.
Und damit hätte Katharina Maria Luisa im Chor aufgefordert, doch endlich die Wahrheit zu sagen und ihre ganzen Täuschungen und Lügen, einschließlich der Teufelsgeschichte, zu widerrufen. Falls sie sich weigerte, müsse sie, auch um das Seelenheil Maria Luisas zu retten, aktiv werden und von sich aus die Affäre mit dem Americano offenlegen. Zu diesem Widerruf war Maria Luisa aber nicht bereit. Der Gesprächsversuch scheiterte. Das Verhältnis zwischen den beiden Frauen war endgültig zerbrochen.
Himmelsbriefe kündigen die Ermordung Katharinas an
Der Tod Katharinas lag seit der Szene im Chor in der Luft. Christus hatte Maria Luisa in einer Vision bereits mündlich darüber informiert, nun fehlte nur noch die schriftliche Bestätigung von oben. Und tatsächlich musste Maria Francesca wieder auf Befehl der Madre Vicaria tätig werden, um in der Rolle der Gottesmutter Himmelsbriefe zu schreiben. Über deren Entstehung berichtete sie in ihrem Verhör am 21. Februar 1860 dem Untersuchungsrichter:[ 16 ] «Das, was ich jetzt sagen werde, habe ich dem Peters im Namen der Madonna schriftlich in mehreren Briefen mitgeteilt: Nämlich, dass der Teufel die Freiheit gehabt habe, die Gestalt seiner Lieblingstochter anzunehmen und sie so zu verleumden. In dieser Gestalt ist er hunderte Male der Schwester Luisa Maria (der Prinzessin, die in den Briefen Katharina genannt wird) erschienen und hat sie bedrängt, damit sie das Kloster verlasse. Dass man sie Katharina nannte, war, weil sie sich immer so verhielt, nämlich hochmütig, hartnäckig und nur die eigene Meinung akzeptierend. Katharina war dazu bestimmt, die Herrlichkeit der Gottestochter kundzutun. Der Teufel
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