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Die Nordischen Sagen

Die Nordischen Sagen

Titel: Die Nordischen Sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Neuschaefer
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schon gesagt. Und dann kommt der gigantische Wolf und die Riesenschlange und zu guter Letzt auch noch die Totengöttin selbst. Und die Welten werden in Flammen stehen.« Er lachte kurz auf und rieb sich die Hände. »Das werden wir alles noch sehen. Ein Gott lässt sich von solchem Geunke nicht einschüchtern.«
    »Was passieren wird, kannst du nicht mehr aufhalten, Göttervater«, antworteten die Nornen wie aus einem Mund.
    Einen Göttergedanken lang erstarrte Odin.
    »Aber das ist nicht der Grund, weshalb du zu uns gekommen bist«, fuhren die weisen Frauen fort, »wir wissen, dass du die Kunst des Runendeutens lernen willst.«
    Odin verschluckte sich und hustete.
    »Sei gewarnt, Odin, für dieses Wissen wirst du leiden müssen. Ein so mächtiger Zauber fordert Opfer.«
    »Schon wieder?«, keuchte Odin und rang immer noch nach Atem, »gerade erst musste ich Mimir ein Auge geben für die Allwissenheit – Und : Bin ich allwissend? Nein! Was ist es denn diesmal? Vielleicht der ganze Kopf ? Und was wird mir dann noch fehlen? Ich muss wohl daran erinnern, dass ich der Göttervater bin.«
    Aber schon während er sprach, begannen die Gestalten der Schicksalsfrauen, immer durchsichtiger zu werden und sich allmählich in Nebel aufzulösen.
    Odin sprang auf das Wasser zu und griff nach einem gerade noch erkennbaren Nebelarm.
    »Schon gut. Ich mach’s.«
    Doch er griff ins Leere und musste zusehen, wie der Nebel aufstieg und schließlich zwischen den Ästen der Weltesche verschwand.
    »Kommt zurück. Was muss ich tun, um alle Zauberkunst des Universums zu erlangen? Sagt es mir und ich will es tun, so wahr ich der Göttervater bin.«
    »Gut«, flüsterte die Stimme der Nornen, und ebenso schnell wie sie verweht waren, nahmen die Schicksalsfrauen nun wieder Gestalt an. »Du musst dich dir selbst zum Opfer darbringen, dann geht die Kraft der Runen auf dich über.«
    »Was? Wie soll ein Gott sich selber opfern?«
    Unbewegt blickten die Nornen den Göttervater an. »Du hast eine Antwort von uns gefordert, und wir haben sie dir gegeben. Erhänge dich selbst an der Weltesche und stoße dir deinen eigenen Speer in den Leib, dann bekommst du, was du begehrst.«

    »Ich bin ein Gott, noch dazu der oberste. Entschuldigt,aber ich bin unsterblich!«, sagte Odin. »Auf diesem Wege kann ich ja wohl kaum die Weisheit der Runen erlangen. Also sagt mir die Wahrheit!«
    Aber noch bevor er das letzte Wort ausgesprochen hatte, lösten sich die drei Gestalten wieder in Nebelstreifen auf, die der Wind davontrug. Und Odin stand zum zweiten Mal allein unter den Zweigen der Weltesche.
    Diesmal jedoch kamen die Nornen nicht zurück. Wie laut er auch rief, er blieb allein.
    Da entschied er sich, doch der Weisung der Schicksalsschwestern zu folgen. Er vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war, der ihn beobachten konnte, dann kletterte er an der Weltesche hinauf, bis er einen besonders starken Ast gefunden hatte, befestigte ein Seil daran und schlang sich das andere Ende um den Hals. Odin griff nach seinem Speer und rammte ihn sich in die Seite. Und schließlich ließ er sich von seinem Ast in die Tiefe gleiten, sodass er bald am Hals aufgehängt an der Esche baumelte. Es war schrecklich. Odin konnte zwar nicht sterben, aber er litt große Schmerzen, fast wie ein Sterblicher. Neun Nächte lang hing er an Yggdrasil. Sosehr er auch stöhnte und rief, niemand kam, um seine Qualen zu lindern, niemand brachte dem leidenden Gott etwas zu trinken oder tröstete ihn. Doch mit jeder weiteren Nacht spürte Odin, dass etwas Neues, Starkes in ihm heranwuchs. Immer mehr verstand er von den Dingen zwischen Himmel und Erde, und schließlich, in der neunten Nacht, formten seine Lippen wie von selbst den Zauberspruch:
    »Ich hing, am windigen Baum, neun lange Nächte.Vom Speer verwundet, dem Odin geweiht, mir selber, ich selbst.«
    Kaum hatte er diese Worte gesprochen, da lagen plötzlich neun Holztafeln am Fuße Yggdrasils, in die waren seltsame Zeichen geritzt. Um sie zu erreichen, begann Odin mit den Füßen zu schwingen. Hin und her – hin und her – immer stärker pendelte Odin an der Weltesche, ganz gleich, wie schmerzhaft es auch war, und schließlich gelang es ihm, die magischen Tafeln mit den Zehenspitzen zu berühren. Im selben Moment wirkte der Zauber, und Odin stürzte neben dem Stamm der Esche auf den Boden. Die Wunde an seiner Seite war verheilt, und kein einziges Mal war an seinem Hals zurückgeblieben.
    Den Platz unter den Zweigen Yggdrasils

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