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Die Nordischen Sagen

Die Nordischen Sagen

Titel: Die Nordischen Sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Neuschaefer
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so zart und hell, wie das Plätschern von Wasser.
    »Wir sind die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Wir sind drei und wir sind ei...«
    »Ja, schon gut«, Odin winkte ungeduldig ab. »Es geht um die Weltesche.«
    »Wir wissen, weshalb du hier bist«, antworteten die drei Nornen.
    »Wie schön. Also, was kann man gegen den Drachen tun?«
    »Nichts.«
    »Was soll das heißen? Die Esche hält alle Welten zusammen, und wenn sie fällt, dann ...« Odin verstummte. Er wollte nicht schon wieder über den Untergang der Götter sprechen. Wütend trat er gegen einen Felsbrocken, der sofort in die Höhe schoss, über das Himmelsdach hinausflog und schließlich in der Leere Ginnungagap verschwand.
    Die Nornen beobachteten das alles, und keine Gefühlsregung war auf ihren schönen Gesichtern abzulesen.
    Als sie antworteten, klang ihre Stimme gleichgültig: »Alles hat seine Zeit und sein Schicksal. Yggdrasils Zeit ist noch lange nicht gekommen. Mag sein, er leidet an den Wunden, die Nidhöggr ihm zufügt, aber daran stirbter nicht. Denn wir sorgen für sein Leben, solange es ihm bestimmt ist.«
    Jede der Nornen trug plötzlich ein schimmerndes Gefäß in Händen, und nacheinander schwebten sie lautlos über Yggdrasils Wurzel und begossen sie mit dem heiligen Wasser aus der Urd-Quelle. Kaum benetzte das Wasser das Holz der Esche, glaubte Odin, ein Seufzen aus den Zweigen des Baumes zu hören, so als würde das weiße Wasser der Schicksalsquelle seinen Qualen Linderung verschaffen. Als Urd, Skuld und Werdandi ihre Gefäße geleert hatten, wirkte das Grün des Eschenlaubs kräftiger und frischer.
    Verwundert verfolgte Odin das Tun der Schicksalsschwestern und schüttelte dann den Kopf.
    »Mir gefällt das nicht. Wieso entscheidet eigentlich ihr, wer lebt und wer stirbt? Wo bin ich in diesem Spiel?«
    »Uns gab es schon immer, du aber bist nur ein Werkzeug. Du kannst nicht verhindern, was dir und den Göttern vorherbestimmt ist.«
    »Das werden wir noch sehen. Ich habe diese Welten erschaffen.«
    Er wartete nicht, bis die Nornen sich wieder in Nebel aufgelöst hatten. Mit großen Schritten eilte er zurück in seinen Palast, und als es Morgen wurde, ließ er Loki zu sich kommen.

Das große Gelage
    L oki lebte nun schon lange bei den Göttern, doch noch immer gab es Asen, die dem Halbriesen misstrauten. Besonders Heimdall beobachtete jeden seiner Schritte voller Misstrauen und versuchte immer wieder, Thor gegen seinen Wahlbruder aufzubringen. Viele andere Götter aber hatten Loki ins Herz geschlossen und fragten ihn in allen möglichen Lebenslagen um Rat.
    »Loki, wie kann ich die schöne Waldelfe für mich gewinnen?«
    »Loki, woher bekomme ich eine bessere Waffe?«
    »Loki, wie kann ich mich auf Reisen gegen Trolle schützen?«
    Und Loki half. Jedes Mal.
    Bald war der Feuergott aus Asgard nicht mehr wegzudenken, baute sich einen Palast und heiratete die schöne Asen-Göttin Sigyn, die ihm zwei Söhne schenkte. Die meiste Zeit aber verbrachte er mit Thor. Gemeinsam durchstreiften sie oft wochenlang die Welten, um gegen Trolle und Riesen zu kämpfen. Bald verstanden sie sichohne Worte und vertrauten einander mehr, als es jemals zwei Götter getan hatten.

    Es war bei einem dieser Jagdausflüge, als sie ihre Freundschaft für immer besiegelten. Das Himmelspferd Hrimfaxi hatte schon die Nacht im Wagen heraufgezogen, als Thor und Loki ihr Lager in einem dichten Wald aufschlugen, im Grenzgebiet zwischen Midgard und der Wildnis Utgard. Loki entzündete ein Feuer und garte ein Stück Fleisch darin.
    »Ich weiß, dass es mir nicht zusteht«, begann Loki, nachdem er eine Weile wortlos ins Feuer gestarrt hatte. »Du bist Odins ältester Sohn und stehst damit über allen anderen Asen. Dennoch: Ich möchte dein Bruder sein.« Er stand auf, grub eine kleine Vertiefung in die Erde und stellte sich mit beiden Füßen hinein. Dann zog er einen silbernen Dolch aus seinem Gewand und fügte sich damit einen tiefen Schnitt an der Innenseite seines linken Unterarmszu. Die ersten Blutstropfen, die aus der Wunde austraten, schüttelte Loki in die aufgegrabene Erde.
    »Für Odin!«, sagte er und hielt Thor den Dolch hin.
    Der Donnergott sah seinem Freund in die Augen. Er dachte daran, wie glücklich seine Frau gewesen war, als Loki ihr das goldene Haar gebracht hatte. Wie Loki da gewesen war, als niemand ihr Leid lindern konnte. Wie glücklich er selbst war, als sie wieder lächelte. Und an die vielen gemeinsamen Erlebnisse, wo sie einander

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