Die Nordischen Sagen
Ringkampf und winkte gelangweilt ab. »Es reicht. Ruht euch aus, Fremde, und dann verlasst diesen Ort.«
Noch niemals zuvor hatte Thor eine solche Niederlage erlebt. Mit gesenktem Haupt schritt er hinter Thjalfi und Loki auf das Tor zu. Frische, kühle Luft schlug ihm entgegen, und er war froh, bald wieder daheim in Asgard zu sein. Da hörte er Utgard-Lokis Stimme hinter sich:
»Wir werden uns nie wiedersehen, Riesentöter, daher sollst du die Wahrheit erfahren.«
Thor blieb verwundert stehen.
»Du bist der Stärkste von allen, und wir Riesen fürchten dich, denn nur mit einem Trugbild konnten wir dich und deine Begleiter besiegen.
Beim Wettessen trat Loki in Wirklichkeit nicht gegen einen Riesen an, sondern gegen das alles verschlingende Feuer. Thjalfi lief mit einem meiner Gedanken um dieWette, du selbst hast versucht, das Meer auszutrinken, und tatsächlich nahm der Wasserspiegel ab, sodass es nun die Ebbe gibt. Das Kätzchen war in Wahrheit die Midgardschlange Jörmundgand, und die Amme Elli kann niemand besiegen, denn Elli ist das Alter.«
Utgard-Loki reichte Thor die Hand, doch als Thor danach greifen wollte, löste sie sich in Nebel auf, und der Riese war verschwunden. Auch die Burg schien wie vom Erdboden verschluckt.
Thor riss die Augen auf und schreckte hoch. Hastig tastete er nach dem Donnerhammer an seinem Gürtel, aber er war nicht da! Erst langsam kehrte die Erinnerung zurück an das, was geschehen war. An Geirröd und an dessen Mordversuch. An seinen Fingern sah Thor noch die Spuren des glühenden Speers, den er Geirröd in den Leib gerammt hatte. Aber was war mit Utgard-Loki und dem Wettstreit? Sollte all das wirklich nur ein Traum gewesen sein? Und welche Bedeutung hatte er dann. Wer war Utgard-Loki?
Thor griff nach seinem Proviantsack und trank einen Schluck Wasser. Er sah sich nach seinen Gefährten um. Thjalfi hatte sich in seinen Mantel eingewickelt und schlief noch fest, Loki aber trat aus dem Dickicht hervor und warf einen Arm voll Brennholz vor Thor auf den Boden.
»Wir sollten den Wald verlassen, bevor uns die anderen Riesen doch noch finden«, sagte Loki und entfachte ein Feuer. »Sobald wir etwas gegessen haben, brechen wir auf.«
Es dämmert bereits, als sie endlich zu Hause in Asgard ankamen.
D ER U NTERGANG DER W ELTEN
Die Zeichen
E igentlich sind Götter unsterblich. Dennoch träumte der Lichtgott Balder eines Tages von seinem nahen Tod. Er behielt den Traum für sich. Er trug wohl noch eine Weile ein schlechtes Gefühl mit sich herum, dann aber löschte der Alltag die grauenvollen Bilder nach und nach aus. Denn auch in der Götterwelt gibt es einen Alltag, wenn er auch anders aussieht als in der Welt der Menschen. Als sich der Albtraum jedoch wiederholte, erzählte Balder seiner Mutter Frigg davon. Wie genau Frigg den Traum zu deuten verstand, weiß niemand, seit jenem Tage aber hat man sie nicht mehr lachen sehen.
Dann geschah es ein drittes Mal, und diesmal berieten sich alle Götter, was zu tun sei. Doch sosehr sie auch nachdachten, es fiel ihnen nichts ein. Da machte sich Frigg auf den Weg und tat, was vielleicht nur eine Mutter tun kann. Sie eilte zu allen Wesen und Dingen in allen Welten, um ihnen den Eid abzunehmen, Balder nicht zu schaden. Zu Tieren und Pflanzen ging sie, zu allen Geschöpfen und Gegenständen, sogar zu Waffen und Krankheiten. Und alle verneigten sich vor ihrer Liebeund schworen, den gütigsten, den schönsten, den liebenswertesten aller Götter zu schonen.
Obwohl Balders Todträume Teil der Prophezeiung waren, die Ragnarök vorhersagte, verschlossen die Götter ein weiteres Mal die Augen vor der drohenden Gefahr und genossen die vermeintliche Sicherheit ihrer himmlischen Herrschaft. Loki brachte die Götter sogar so weit, jegliche Vorsicht zu vergessen.
»Lasst uns Steine und Äste nach Balder werfen«, rief er lachend, »spürt er auch nur den leisesten Schmerz, dann sind wir gewarnt und können ihn vor allem beschützen. Aber was soll ihm nach Friggs weiser Tat jetzt noch etwas anhaben können?«
Odin war nur zu gern bereit, sich auf Lokis Vorschlag einzulassen. Die gedrückte Stimmung nach Balders Träumen hatte sich ihm aufs Gemüt gelegt, und so spielte er mit und nach und nach auch alle anderen Götter. Während also die Götter im Kreis um Balder herumstanden und ihn voller Übermut mit Steinen bewarfen, nahm Loki die Gestalt eines alten Weibes an. Eine Kapuze verbarg seine glühenden Augen, und so verkleidet, humpelte er zu
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