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Die Nordischen Sagen

Die Nordischen Sagen

Titel: Die Nordischen Sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Neuschaefer
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Frigg.
    »Sag mir, Himmelskönigin. Sorgst du dich nicht um die Sicherheit deines Sohnes?«
    Frigg hörte die Alte aufmerksam an. Etwas an den Bewegungen des Weibes kam ihr bekannt vor. Ihre Sorge um Balder war aber so groß, dass sie ihr Misstrauen vergaß und antwortete: »Ich habe alle schwören lassen, Balder nichts zu tun. Selbst Riesen und Zwerge, alle, bis auf einen kleinen Mistelzweig. Er war noch zu jung, um den Eid abzulegen.«
    »Das war klug von dir, Frigg«, sagte die Alte und lächelte Odins Gemahlin zu. Und dieses Lächeln war gleichzeitig so bezaubernd und doch so böse, dass Frigg lange über das Gespräch nachdachte. Warum aber Friggs Hellsichtigkeit ausgerechnet an diesem Tag versagte, weiß niemand.
    Sobald Loki erfahren hatte, was er wissen wollte, eilte er davon und brach den Mistelzweig ab. Dann kehrte er nach Asgard zurück und mischte sich unter die scherzenden Götter. Niemand vermutete eine Gefahr, und die Götter warfen weiterhin vergnügt ihre Waffen auf den vermeintlich unsterblichen Balder. Freundlich trat Loki an den blinden Höd heran, der etwas abseits stand.
    »Willst du nicht auch Balder die Ehre erweisen und etwas nach ihm werfen? Er wird es dir übel nehmen, wenn du nicht mitspielst. Du bist sein Vertrauter.«
    »Nein«, antwortete Höd lachend, »ich wüsste nicht, wohin ich werfen sollte. Ich sehe Balder ja nicht.«
    Loki aber ließ nicht locker. »Hier, nimm diesen weichen Mistelzweig und wirf. Ich werde deine Hand führen. So kannst du das Ziel nicht verfehlen.«
    Mit eisernem Griff schloss sich Lokis Hand um Höds Finger. Er zerrte den Arm des Blinden nach hinten, spannte ihn wie eine Bogensehne und ließ ihn mit allen Kräften wieder nach vorne schnellen.
    Das Zweiglein schoss aus Höds Hand wie ein Pfeil. Es traf den ahnungslosen Balder mit tödlicher Wucht und bohrte sich in seine Brust. Das Lächeln auf dem Gesicht des Lichtgottes erlosch, und er sank tot zu Boden. Fassungslos starrten die Götter auf die Blutlache, die sichum ihren toten Freund ausbreitete. Niemand sagte etwas, aber es war, als wäre die Sonne erloschen, als wäre in dem Moment, in dem Balder starb, auch alles Glück aus Asgard gewichen und hätte der Finsternis Platz gemacht. Es kommt selten vor, dass Götter weinen. In dieser Stunde aber vergossen selbst die stärksten und härtesten von ihnen bittere Tränen. Jeder für sich allein. Und obwohl nicht ein Wort gesprochen wurde, wussten alle, dass etwas zerbrochen war, unrettbar verloren. Mit Balders Tod war das Goldene Zeitalter zu Ende gegangen und die Wolfszeit angebrochen.

    Frigg litt schrecklich unter dem Verlust ihres geliebten Sohnes. Ihr Schmerz war so groß, dass er sich nicht einmal in Tränen ausdrücken ließ. Frigg weinte kaum, sie verstummte. Ihre Stimme, ihre Augen, sogar ihre Hände.Kalt und weiß lagen sie in ihrem Schoß, während Frigg ins Nichts blickte. Irgendwann brachte sie schließlich doch die Kraft auf, etwas zu unternehmen, und entsandte einen Boten in die Unterwelt, der die Totengöttin Hel darum bitten sollte, Balder wieder freizugeben.
    Als Hel den Boten angehört hatte, überlegte sie einen Moment und sagte dann ernst: »Ich hätte den jungen Gott wirklich gerne hierbehalten, aber das Leid seiner Mutter rührt mich. Ihr sollt Balder wiederhaben. Aber nur unter einer Bedingung: Alle Wesen in allen Welten müssen um Balder weinen. Versagt nur ein einziges Geschöpf Balder sein Mitleid, bleibt er mein Besitz.«
    Wäre der Bote nicht sofort überglücklich davongestürzt, um Frigg die gute Nachricht zu überbringen, hätte er vielleicht gesehen, wie ein spöttisches Lächeln über Hels halb verwestes Gesicht zuckte.
    Die Götter aber begannen, über die Umstände von Balders Tod nachzudenken. Bald waren alle überzeugt, dass es sich nicht um einen unglücklichen Zufall, sondern um Mord handelte. Der blinde Höd schied als Täter sofort aus, und so führte die Spur zu Loki.
    »Nein«, sagte Thor und stellte sich schützend vor seinen Freund, »ihr irrt euch. Nicht Loki. Er ist mein Freund. Ich würde meine rechte Hand für ihn geben.«
    »Ach, Thor, warum bist du nur so schrecklich langweilig?« Loki trat hinter Thor hervor und gähnte ihm direkt ins Gesicht. »Natürlich habe ich Balder getötet. Ich hab’s für euch getan. Ging er euch nicht auch auf die Nerven?« Loki stolzierte an den anderen Göttern vorbei und ahmtedabei das sanfte Gesicht des Lichtgottes nach. »Er war ja so schrecklich gut, euer Balder, und dabei so

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