Die Novizin
Euch nur, was ich gesehen habe, Vater.«
»Ihr behauptet , es gesehen zu haben.«
Ich wollte mir einreden, dass sie diese unglaubwürdige Geschichte erfunden hatte, um uns milde zu stimmen. Es bewies Schlauheit, mit dem Finger auf einen Templer zu zeigen, da ich Mitglieder dieses Ordens weder festnehmen noch zu einem Verhör vorladen konnte, Doch tief in meinem Inneren fürchtete ich, dass es die Fähigkeiten dieser einfachen Frau überstieg, sich eine solche Schauermär auszudenken.
»Gibt es noch irgendwelche anderen Geheimnisse, die Ihr mir mitzuteilen wünscht, Martha Fauré?«
»Ich habe Euch alles gesagt, was ich weiß, Vater.«
Ich nickte Ganach, dem Kerkermeister, zu, der sie daraufhin grob am Arm packte und davonschleifte. Müde rieb ich mein Bein. Die Bürde meines Amtes lastete schwer auf meinen Schultern. Pons, der Notar, sah mich abwartend an, ebenso Bruder Donadieu. Vermutlich waren die beiden froh, dass die Entscheidung nicht bei ihnen lag.
»Was soll ich notieren, Vater?«
»Ihr werdet überhaupt nichts aufschreiben«, entgegnete ich.
»Noch nicht einmal ihre Behauptungen bezüglich des Christian de Saint Ybars?«
»Selbstverständlich nicht! Denkt Ihr etwa, ich oder irgendjemand sonst sollte eine Geschichte glauben, die sie ganz offensichtlich erfunden hat, um ihre gerechte Verurteilung abzuwenden?«
»Natürlich nicht, Vater.«
Ich warf Bruder Donadieu einen Blick zu. Ich wusste, was er dachte. Ein Templer, ein Ritter des Herrn, der einen Priester der Kirche tötete, beging eine Sünde unvorstellbaren Ausmaßes. Ein Tempelritter konnte vor Gericht hundert Mal hundert Männer aufrufen, die sich für seinen untadeligen Charakter verbürgen wurden, während diese verängstigte Frau wohl schwerlich auch nur einen angesehenen Bürgen auftreiben würde.
Davon abgesehen gab es ohnehin keine Möglichkeit, einen Tempelritter durch ein weltliches Gericht anzuklagen. Jeder, der die Hand gegen einen Templer erhob, wurde auf der Stelle exkommuniziert. Es stellte bereits ein Verbrechen dar, einen solchen Mann auch nur zu verärgern.
Martha Faurés Behauptung war lächerlich und entsprang vermutlich ihrer Verzweiflung. Dennoch – an diesem verwünschten Ort war schon so viel geschehen, dass ich heimlich fürchtete, die Behauptung könne der Wahrheit entsprechen.
SUBILLAIS
Ich rückte meinen Stuhl ein wenig näher an das Feuer, das im Kamin der großen Halle prasselte. Der Raum war düster und roch beißend nach Rauch. Die Jagdhunde des Seigneurs hatten sich zu seinen Füßen zusammengerollt und gaben ab und zu ein Wimmern und ein klägliches Jaulen von sich. Diener brachten uns Glühwein.
Der Boden war mit getrockneten Kräutern bestreut, wodurch die Gerüche vertrieben werden sollten, die sich im Winter in der Halle ansammelten. Die trostlose Atmosphäre wurde auch nicht von den wenigen Gobelins gemildert, die an den Wänden hingen. Mir schien, dass unser Seigneur trotz seiner feinen Kleidung zu den ärmeren Adligen gehörte. Er muss sich gefragt haben, woran dies lag. Über der großen Flügeltür prangte das Wappen von Raymonds stolzen, burgundischen Vorfahren. Das heraldische Emblem der Familie Saint Ybars glänzte durch Abwesenheit.
Raymond trug ein blaues Oberkleid über ledernen Hosen – die typische Jägerkluft. Ich war immer noch nicht sicher, was ich von ihm halten sollte. Sein Großvater hatte an der Seite von Simon de Montfort gekämpft. Raymond stammte aus einer guten katholischen Familie und sprach selbst nach all den Jahren, die er nun bereits im Süden lebte, mit dem Akzent der Nordfranzosen. Aber ich traute seiner Gemahlin nicht über den Weg und konnte auch in ihm keine besonders festen Prinzipien erkennen. Er kümmerte sich mehr um die Jagd als um die Politik. Vielleicht war es an der Zeit, ihn auf den rechten Pfad zu lenken.
»Wie geht es mit Eurer Untersuchung voran?«, erkundigte er sich.
»Derzeit ist es etwas mühsam. Aber ich bin äußerst beunruhigt über das, was ich bisher in Erfahrung gebracht habe.«
Ich sah die Angst in seinem Blick.
»Ich werde dem Bischof berichten müssen, in welchem Maße die Häresie hier um sich greift«, fuhr ich fort. »Vielleicht wird es sogar nötig, weitere Inquisitoren aus Toulouse anzufordern.«
Nun war er wirklich bestürzt. Das hatte er offenbar nicht erwartet, sondern gedacht, ich würde die Nonne, die Novizin und ein oder zwei Bucklige verbrennen lassen und dann nach Toulouse zurückkehren, sobald mein Bein mir dies erlaubte.
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