Die Novizin
Raymond war oberflächlich, zu leichtfertig in Bezug auf religiöse Dinge. Ich musste ihm also begreiflich machen, dass er in Gefahr war, und das gelang mir mit meinen Worten auch.
»Ich dachte, Ihr hättet die beiden Frauen aus dem Kloster befragt und wäret in dieser Angelegenheit zu einem zufrieden stellenden Ergebnis gekommen …«
»Ich gebe zu, dass ich anfangs glaubte, es handele sich um einen einfachen Sachverhalt, der leicht aufzuklären sei. Doch mittlerweile fürchte ich, dass meine Arbeit hier gerade erst begonnen hat, vor allem, weil bisher so viele Lippen versiegelt geblieben sind.«
Raymonds Miene verriet verblüffte Verwirrung. Er war kein frommer Mann und sehnte mein Verschwinden herbei, damit er wieder ungestört jagen und mit den Dienstmägden in der Küche Unzucht treiben konnte. »Die Nonnen von Beausaint sind für ihre Gottlosigkeit bekannt. Das hat nichts mit mir zu tun.«
»Mich beunruhigen weniger die Zustände in der Abtei als vielmehr die Aussagen der Magd des ermordeten Priesters, Martha Fauré.«
Raymond verzog das Gesicht. »Martha Fauré? Die alte Buhle, bei der Guillaume gelegen hat?«
»Sie hat ernste Anschuldigungen gegen Personen von hohem Rang vorgebracht.«
»Und Ihr schenkt dieser Frau Glauben?«
»Wir müssen jeder Behauptung nachgehen, die Häresien oder die Missachtung der Kirche betrifft. Falls sie jedoch ein falsches Zeugnis abgelegt hat, wird sie dafür bestraft werden.« Ich hielt kurz inne und fügte dann hinzu: »Es gibt viele Dinge, von denen Ihr keine Kenntnis habt.«
Raymond befand sich nun völlig in den Klauen der Angst. »Was meint Ihr?«
»Ich benötige Eure Mithilfe, wenn ich verhindern soll, dass die Angelegenheit dem Bischof zu Ohren kommt. Eure Unterstützung könnte die Untersuchung beschleunigen, und dann wäre ich womöglich in der Lage, dem Legaten in Avignon nur Gutes über Euch zu berichten, wenn dieser Fall abgeschlossen ist.«
»Ich habe Euch bereits jegliche Unterstützung gewährt, die in meiner Macht steht.«
»Das behauptet Ihr, Seigneur. Aber ich frage mich, ob Ihr tatsächlich nichts über die Probleme wisst, denen ich mich hier gegenübersehe.«.
»Was soll das heißen?«
»Es heißt, der Bruder Eurer Gemahlin sei in den Priestermord verwickelt.«
Ihm blieb der Mund offen stehen. »Aber … aber sie sind doch Vettern«, stammelte er schließlich.
Ich lächelte Raymond kühl an. »In diesem Teil unseres Landes ist es nicht ungewöhnlich, dass sich Mitglieder derselben Familie gegeneinander wenden.«
»Aber Christian ist ein Ritter des Templerordens! Er hat ein Gelübde abgelegt, das ihm verbietet, einem anderen Christen Schaden zuzufügen.«
»Einige Gelübde werden strenger eingehalten als andere. Diese Anschuldigung ist folglich eine ernste Angelegenheit, nicht wahr?«
Einen Augenblick lang war Raymond sprachlos. Er saß zusammengesunken auf seinem Stuhl und starrte ins Feuer. Dann fragte er: »Von wem habt Ihr diese Information?«
»Das kann ich Euch nicht offenbaren.«
»Doch nicht etwa von dieser Martha?« Er schien sich verächtlich über sie äußern zu wollen, überlegte es sich dann jedoch anders. »Der Priester wurde von katalanischen Räubern getötet.«
»Könnt Ihr das beweisen?«
»Es ist die einzige einleuchtende Erklärung.«
»Räuber töten für Geld oder wertvolle Gegenstände. Der Priester besaß keins von beidem.«
Raymond schüttelte den Kopf. »Was soll ich Eurer Meinung nach tun? Ich kann ihn nicht festnehmen lassen. Er ist der Komtur in Maurac. Selbst wenn ich genug Männer zur Verfügung hätte – gegen den Templerorden sind mir die Hände gebunden. Was erwartet Ihr von mir?«
Ich ließ die Frage für einen Moment im Raum hängen. »Eure Gemahlin ist in größter Gefahr.«
»Meine Gemahlin?«
»Ihr wisst, wer ihr Vater war. Ihr gesamte Familie hat Häretiker verteidigt, und möglicherweise hegt sie auch jetzt noch gewisse Sympathien. Falls meine Nachforschungen nicht schnell zu einem Ergebnis führen, wäre ich vielleicht gezwungen, sie vorzuladen, damit sie ihren Glauben bezeugt.«
»Sie ist eine absolut treue Anhängerin der Kirche.«
»Ich wünschte, dem wäre so. Aber angesichts der Beschuldigungen gegen ihren Bruder fällt es schwer, das zu glauben.«
Ich hoffte, dass ich mich für den Herrn Seigneur nicht zu subtil ausgedrückt hatte, denn es wäre mir äußerst unlieb gewesen, wenn er nicht begriffen hätte, worauf ich hinauswollte. Wenn es um die Ehre Gottes geht, ist niemand
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