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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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gewissenhafter als ich.
    »Ich sage es noch einmal – falls die Untersuchung rasch einen befriedigenden Abschluss finden soll, benötige ich Eure Hilfe, Seigneur. Ich glaube nicht, dass Ihr es Euch leisten könnt, in der Position eines unbeteiligten Zuschauers zu verharren. Wenn die Zeit kommt, muss ich mich auf Eure uneingeschränkte Unterstützung verlassen können.«
    Kurz darauf verließ ich ihn. Er hatte mir den Rücken zugewandt und starrte mit hängenden Schultern ins Feuer. Seine Bürde war nun ebenso schwer wie die meine.
    Die Häresie schlängelte sich durch diese Berge, unhörbar, unsichtbar wie der unterirdisch verlaufende Fluss. Aber ich hatte mir geschworen, ihre Quelle zu finden und für alle Zeiten zu verschließen. Ich würde vor nichts Halt machen, um das Lamm zu schützen, selbst wenn dies bedeutete, dass ich den Wolf spielen musste.
     
    *
     
    Ein gewisser Aimery Maurand wurde aufgefordert, vor uns zu erscheinen. Wie in solchen Fällen üblich wurde sein Name an drei aufeinander folgenden Sonntagen vor der versammelten Gemeinde aufgerufen. Wir entsandten keine Soldaten, um ihn festzunehmen, und es gab nichts, was ihn an einer Flucht aus der Stadt hätte hindern können – außer der drohenden Exkommunikation. Doch da die Güter eines Exkommunikanten in den Besitz der Kirche übergingen, wäre der wohlhabende Maurand als armer Mann ins Exil geflohen. Wir nahmen also nicht an, dass er die Stadt verlassen würde, denn gewiss war jemandem wie ihm eine leichte Buße – eine Zeit des Fastens oder eine Pilgerreise zum Beispiel – hundertmal lieber als ewige Armut, selbst angesichts einer ungerechtfertigten Anklage.
    Aimery Maurand war ein reicher Bürger. Ich stelle dies ausdrücklich fest, um jene zu widerlegen, die behaupten, die Heilige Inquisition suche lediglich unter den Armen und Unwissenden nach Schuldigen. Unser eigentliches Ziel waren die begüterten Familien, die Häretikern Beihilfe leisteten, denn ohne sie wäre das Ketzertum schon vor langer Zeit beendet gewesen.
    Um die Häresie zu besiegen gibt es eine wirksamere Methode als Gewalt, und diese Methode heißt Beharrlichkeit und Sorgfalt. Daher ist die Arbeit eines Inquisitors auch sehr belastend und eignet sich nicht für jedermann. Die Voraussetzung für Beharrlichkeit und Sorgfalt ist ein Verstand, der sich nicht leicht von einer Fülle von Einzelheiten einschüchtern lässt.
    Glücklicherweise verfüge ich über einen solchen Verstand.
    Am dritten Sonntag – in seiner Überheblichkeit wartete er bis zum letzten Augenblick – erschien Aimery Maurand in der Burg, allein und ohne Rechtsbeistand. Ich sollte erklären, dass durch die Konzile von Valence und Albi Rechtsbeistände von unseren Gerichten ausgeschlossen waren. Die weisen Teilnehmer dieser Konzile hatten nämlich entschieden, dass ein Rechtsbeistand als Komplize zu betrachten und gemeinsam mit seinem Klienten zu bestrafen war, falls dieser der Ketzerei für schuldig befunden wurde. Seitdem haben viele Mitglieder des Berufsstandes davon Abstand genommen, etwas zu verteidigen, das im Grunde nicht zu verteidigen ist, und überlassen die Untersuchung von Häresie denjenigen, die am besten dazu befähigt sind.
    Ich betrachtete Aimery Maurands Gesicht und stellte fest, dass sein offenkundiger Hochmut mich abstieß, Glaubte er etwa, ein Mann wie ich würde ihn vorladen, wenn er keine Beweise für einen Fehltritt seinerseits hätte? Glaubte er, mit seinem Reichtum und seiner Prahlerei einen Inquisitor beeindrucken zu können?
    Ich vertiefte mich für eine lange Zeit in die vor mir liegenden Dokumente und sagte gar nichts. Man vermag einen Schuldigen eher durch Schweigen einzuschüchtern als mit Worten. Schließlich fragte ich ihn: »Aimery Maurand, wisst Ihr, warum Ihr hierher beordert worden seid?«
    »Hat man mich verleumdet, Vater? Ich habe in dieser stinkenden kleinen Stadt viele Feinde, die ich alle beim Namen nennen kann.«
    »Ihr seid nicht verleumdet worden«, sagte ich und wandte mich wieder schweigend dem Register vor mir zu. Die Zeit verging. Der Herr genießt den Angstschweiß eines schuldbewussten Mannes.
    »Wo wurdet Ihr geboren, Aimery Maurand?«, begann ich endlich erneut.
    Schweiß glänzte auf seiner Stirn, die feuchte Patina der Angst.
    »In Carcassonne.«
    »Ihr wurdet also in Carcassonne geboren. Wie lautete der Name Eures Vaters?«
    »Guillaume.«
    »Guillaume Maurand«, vervollständigte ich und verfiel erneut in Schweigen. Dann blätterte ich langsam eine

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