Die Novizin
Kirche und über die Hingabe an Gott. Wenn er von Gott sprach, leuchtete sein Gesicht. Er betrachtete den Glauben als Weg in eine bessere Welt. Natürlich erörterten wir auch das Klosterleben. Mein Vater hatte ihn darum gebeten, mir den Eintritt ins Kloster auszureden, und seine Argumente waren sehr bestechend.
»Wie Euer Vater mir sagt, seid Ihr immer noch entschlossen, einem Orden beizutreten.«
»Ich habe gründlich über Eure Worte nachgedacht, Vater.«
»Aber nicht gründlich genug, um Eure Meinung zu ändern.«
Ich gab keine Antwort.
Er erzählte mir, dass die Einhaltung der Ordensregeln nicht so leicht sei, wie ich es mir vielleicht vorstelle. Dass die Opfer, die eine Frau bringe, nicht so bedeutend seien wie die eines Mannes und gerade deswegen noch sorgfältiger überlegt sein wollten. Er erinnerte mich zudem an meine Pflicht gegenüber meinem Vater.
»Aber lehrt uns die Kirche denn nicht, Gott mehr zu ehren als unsere Eltern?«, entgegnete ich.
»So ist es. Aber es gibt viele Wege, Gott zu ehren. Dazu müsst Ihr nicht unbedingt in ein Kloster eintreten.«
Es war nicht richtig, aber ich begann zu jenem Zeitpunkt, dieses geistige Kräftemessen zu genießen. Wenn ich einsichtiger gewesen wäre, hätte er keinen Grund mehr gehabt, uns weiterhin zu besuchen. Also täuschte ich vor, noch zu zweifeln, obwohl er mich schon lange umgestimmt hatte.
»Ihr solltet die Gelübde, so Ihr sie denn ablegt, nicht auf die leichte Schulter nehmen«, beharrte er. »Sie sind nur sehr schwer einzuhalten und allzu schnell gebrochen.«
»Sprecht Ihr vom Keuschheitsgelübde?«, fragte ich.
»Ihr seid jung. Ich glaube nicht, dass Ihr voll und ganz begreift, was Keuschheit bedeutet.«
»Ihr seid ebenfalls jung. Bereitet es Euch nicht manchmal auch Schwierigkeiten, dieses Gelübde einzuhalten, Vater?«
Mein Ton war harmlos, doch ich gebe zu, dass mir der Schalk im Nacken saß – vielleicht hatte ihn ja der Teufel dorthin gesetzt. Da ich wusste, was in dem Priester vorging, hätte ich ihm diese Frage nicht stellen dürfen. Wie Eva hielt ich ihm den Apfel hin. Am Tag des Jüngsten Gerichts werde ich mich für die Vernarrtheit eines jungen Mädchens verantworten müssen. Ich hätte an seine Position in der Kirche denken sollen.
Er begann, mit langen Schritten den Raum zu durchmessen, rang die Hände und suchte nach einer passenden Antwort. »Ja«, räumte er schließlich ein. »Wir alle ringen mit unserer Menschlichkeit.«
»Ihr habt Eure Dämonen bezwungen, Vater. Wäre es nicht möglich, dass ich die meinen ebenso besiege?«
»Für eine Frau ist dies schwieriger, denn Frauen sind schamloser als Männer.«
Diese Ansicht hatte ich Priester und Mönche schon oft äußern hören, auch wenn sie überhaupt nicht meiner eigenen Erfahrung entsprach. Ich war noch keine achtzehn Jahre alt, doch mir schien, dass Männer mindestens ebenso lüstern waren wie Frauen – zumindest den Bemerkungen nach zu urteilen, die sie auf Markt und Straße hinter meinem Rücken machten. Derartige Dinge würde eine Frau niemals sagen.
»Bevor Ihr Mönch wurdet, habt Ihr da jemals eine Frau geliebt, Vater?«
»Als mein Vater mich der Kirche übergab, war ich noch ein Kind.«
»Trotzdem … Ihr habt niemals …?«
Er wirkte schockiert über diese Frage. »Ich habe die Gelübde abgelegt.«
»Nicht alle Mönche gehorchen ihren Gelübden.«
»Ich bin ein Bruder des Predigerordens, nicht irgendein gewöhnlicher Mönch.«
»Ich frage dies nur, weil … nun, wenn man niemals von einer bestimmten Frucht gekostet hat, kann man ihren Geschmack auch nicht vermissen.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe noch niemals geliebt.«
Lange Zeit herrschte Schweigen. Er war unfähig, mir in die Augen zu sehen.
»Noch niemals zuvor, Vater?«
Gott möge mir vergeben, aber ich genoss es, ihn in die Falle zu locken. War es mein Stolz? Wollte ich ihn umgarnen, weil die ganze Stadt seinen scharfen Verstand rühmte, oder wegen seiner blauen Augen oder einfach nur, weil er unerreichbar war? Mich verlangte nicht nach seinem Körper, sondern nach der Gewissheit, dass ich einen solchen Mann, einen Mann Gottes, haben könnte. Gewiss haben die Geistlichen Recht – auf diese Weise wirkt der Teufel in einer Frau und auf diese Weise wirkte er auch in mir.
Der Priester schien nicht zu wissen, wie er reagieren sollte. Er beschloss so zu tun, als wären diese Worte nie gefallen.
»Wenn Ihr Euch dermaßen unnachgiebig zeigt, muss ich nun gehen«, murmelte er.
Wie Ihr seht
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