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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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zurückblieb. Aber da er ohnehin eher für seinen Mut und seine Frömmigkeit bekannt war als für sein gutes Aussehen, wird dies Gott wohl einerlei sein.
    Falls Ihr die Stadt kennt, wisst Ihr, dass sie sich sehr gefällig darstellen kann, wenn man am anderen Ufer der Garonne steht und über ein Mosaik von Weinbergen und Gemüsegärten hinweg ihr Panorama aus Türmen und Türmchen erblickt, die noch nicht einmal de Montfort alle niederzureißen vermochte. Am südlichen Ende der Stadt ragen die erhabenen Mauern des Château Narbonnais über der Garonne auf, in der Tat ein imposanter Anblick. Wenn nach einem Regenschauer die Sonne durch die Wolken bricht, verleihen ihre Strahlen dem gelben Stein der Stadtmauern einen goldenen Schimmer.
    Es wird behauptet, dass die Silhouette von Toulouse mehr als dreihundert Türme zählt, obwohl die Stadt unter der Belagerung und Besatzung Simon de Montforts weitgehend zerstört wurde. Und erst die Kirchen! Zählt die Kirchtürme – die runde Basilika von Saint Sernin, den viereckigen Turm der Kathedrale des Heiligen Stefan, Notre Dame de la Daurade, die weißen Mauern der Eglise Dalbade, St. Romain … Sie alle drängen sich in den Stadtmauern wie große Schiffe in einem Hafen.
    Doch wenn Ihr Euch innerhalb der Stadttore bewegt, wirkt diese große Zahl von Bauwerken über Euch eher bedrohlich. Die schiefen Häuser mit ihren Kragen und die zerrissene Wäsche, die zum Trocknen an Stangen aus den Fenstern der oberen Stockwerke gehängt wird, versperren beinahe vollständig die Sicht auf den Himmel.
    Obwohl ich schon viele Jahre in der Stadt lebte, hatte ich mich nie an den Lärm gewöhnen können. Verglichen mit der Stille des Klosters sind die Gassen der Stadt eine einzige Qual – das Gegröle in den Schänken und auf den Märkten, das Geschrei der Esel unter ihrer Last, das Quieken der Schweine auf dem Weg zum Schlachthof …
    Doch als ich an jenem Tag aus Madeleines Haus stolperte, hörte ich nichts von all dem. Meine Gedanken waren nach innen gerichtet, und ich war vollkommen mit mir selbst beschäftigt. Es dauerte nicht lange, bis ich mich verlaufen hatte.
    Ich wanderte durch eine Gasse voller Weingeschäfte, Bordelle und Kesselflickerbuden und musste mir ein Taschentuch vor die Nase pressen, denn die tiefen Karrenfurchen im Schlamm waren mit jeder erdenklichen Form von menschlichem und tierischem Abfall gefüllt und stanken bestialisch. Jedes Mal, wenn ein Ochsenkarren vorbeiknarrte, zog ich mich in einen Hauseingang zurück, um zu vermeiden, dass dieser widerliche schwarze Dreck mein Habit bespritzte. Die Dirnen verwechselten mich offensichtlich mit dem Bischof. Eine von ihnen entblößte vor mir ihre Brüste und bot an, für drei Denier an der Wand mit mir zu verkehren.
    Ich drängte mich mit einem ärgerlichen Aufschrei an ihr vorbei. Ihr fauliger Atem, ihre schlechten Zähne – es war, als würde der Teufel selbst mir ins Gesicht lachen. Ich hatte mich zum Gespött gemacht, ich war ein Mönch, den eine Frau betört hatte. Eigentlich war mein Leben der Kontemplation des Göttlichen gewidmet, doch stattdessen konnte ich nur noch an die weibliche Anmut denken.
    Ich kam an einem Mann vorüber, der als Strafe für irgendein Verbrechen geblendet worden war. Seine leeren Augenhöhlen waren entsetzlich anzusehen. Er hockte mit ausgestrecktem Arm im Schmutz der Gosse und bettelte. Ein paar kleine Jungen machten sich ein Vergnügen daraus, ihn zu quälen. Sie kniffen und schlugen ihn, während er gegen sie wütete und vergebens versuchte, sie zu packen. Das machte das Spiel für sie natürlich noch interessanter.
    Ich betrachtete dies als ein weiteres Omen. Ich wusste, wie dieser Elende sich fühlte, denn wurde ich nicht auf ähnliche Weise vom Ewigen Widersacher gequält? Meine Verteidigungsmaßnahmen erschienen mir ebenso fruchtlos wie die des Bettlers.
    Ich zog einen der Plagegeister am Ohr und rügte ihn im Namen der Kirche. Dann holte ich ein paar Münzen aus meinem Beutel und gab sie dem Unglücklichen. Er war zweifellos ein Dieb – oder war es zumindest gewesen –, aber er hatte einen furchtbaren Preis für seine Sünden gezahlt, und es war mir zuwider, ihn leiden zu sehen. Ohnehin überlebten nur wenige solcher Geschöpfe mehr als ein Jahr lang auf der Straße.
    Als ich endlich den Weg zurück zum Priorat fand, war es schon beinahe dunkel. Ich kam zu spät zur Komplet und erntete dafür die tadelnden Blicke meiner Brüder. Ich hatte das Gefühl, als wüssten sie alle von

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