Die Novizin
ungeheurer Anmaßung.
Mein Mund war merkwürdig trocken.
»Ihr seid nicht leicht zu belehren«, stellte ich fest.
»Und Ihr seid zweifellos sehr jung dafür, dass Ihr bereits eine solche Stellung in der Kirche erlangt habt. Mein Vater sagt, dass man von Euch als einem zukünftigen Bischof spricht.«
Ich bin schon viele Male der Sünde des Stolzes verfallen. So war es auch diesmal, denn anstatt diesen Worten mit der gehörigen Bescheidenheit zu begegnen, ließ ich sie zunächst unwidersprochen stehen.
»Ich glaube nicht, dass dies jemals geschehen wird«, antwortete ich schließlich nicht sehr überzeugend. »Ich habe mein Leben Gott gewidmet und bin der Meinung, dass ich ihm als einfacher Mönch am besten dienen kann.«
Als seien wir beide an einer Verschwörung beteiligt, verzog sich ihr Mund zu einem vertraulichen Lächeln. Die Intimität des Augenblicks brachte mich aus der Ruhe. Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.
»Aber darüber nachgedacht habt Ihr doch«, warf sie ein.
Ihr versteht, warum die Frau das Werkzeug des Teufels ist. Welch genialer Einfall von ihm, es gegen mich einzusetzen! Aus eben diesem Grund müssen sich Männer in Klöster zurückziehen, denn alle Frauen sind lüsterne Kreaturen, und diese Madeleine war die schlimmste von allen.
»Ich habe über nichts von alledem nachgedacht«, log ich.
»Ich glaube, Ihr würdet einen guten Bischof abgeben«, sagte sie und lachte. Sie lachte! Noch ehe ich eine passende Erwiderung anbringen konnte, stellte sie bereits die nächste unverschämte Frage. »Warum verbringt ein Mann wie Ihr sein Leben in einem Kloster?«
Ein Mann wie ich?
»Ihr haltet mich also für ein Kind des Klosters?«, fragte ich sie. Sie schien zu glauben, dass ich zu jenen gehörte, die als Säugling vor einem Kloster ausgesetzt und dort aufgenommen worden waren.
»Seid Ihr das denn, Vater?«
»Mein Vater war ein wohlhabender Mann. Mir als seinem jüngstem Sohn bestimmte er eine Laufbahn in der Kirche.«
»Ihr habt seine Wahl nie bedauert?«
Sie hatte selbstverständlich kein Recht, mir eine dermaßen persönliche Frage zu stellen. Aber ich antwortete trotzdem. »Doch, manchmal denke ich darüber nach, was unter anderen Umständen aus mir geworden wäre.«
»Und was wäre das?«
»Zweifellos ein Sünder.«
»Wir sind alle Sünder, nicht wahr, Vater?«
»Ja, aber einige von uns hoffen auf Erlösung.«
Unsere Blicke trafen sich, und ich fühlte meine Einsamkeit wie nie zuvor. Ich wusste, dass ich den Rückzug antreten musste. Andernfalls war ich verloren. »Jene Entscheidungen, die für mich getroffen wurden, bedauere ich nicht. Wenn ich an die Welt denke, an all den Lug und Trug, an die Vergeblichkeit, an all das Böse, das ich jeden Tag zu sehen bekomme, dann weiß ich, dass ich den richtigen Weg gewählt habe.«
Ich schlug die Augen nieder, und mein Blick fiel auf ihre Hände, die sie bisher in den Falten ihres Oberkleides verborgen hatte. Da waren Wunden in ihren Handflächen, tiefe Wunden, die nicht älter als einen Tag sein konnten.
»Was habt Ihr da?«, fragte ich entgeistert.
Auf einmal war sie wie verwandelt. Aus irgendeinem Grund versteckte sie ihre Hände in ihrem Schoß.
»Es ist nichts.«
»Kommt, heraus mit der Sprache.«
»Ich habe mich verbrannt, als ich den Kessel vom Feuerhaken nehmen wollte«, sagte sie.
»Ihr solltet eine Salbe auf die Wunden streichen, um die Heilung zu beschleunigen. Unser Infirmarius …«
»Sie werden von selbst heilen. Wie immer.«
»Wie immer?«
»Das war nicht das erste Mal.«
»Ihr solltet vorsichtiger sein.«
Ihr seht, wie diese Begegnung verlief. Als wäre ich nicht ausreichend gewarnt gewesen … Mehr war im Übrigen nicht aus ihr herauszubringen, und ich war schon damit zufrieden, wieder einen gewissen Vorteil erlangt zu haben. Sie quälte mich nicht weiter, dafür erkundigte ich mich nicht näher nach den Wunden in ihren Händen.
Wir nahmen unser Gespräch über den Heiligen Augustinus wieder auf. Als sich das Thema erschöpft hatte, verließ ich das Haus und sagte mir, dass ich sie niemals wieder sehen würde.
MADELEINE
Er kam noch dreimal, um mich zu sehen. Ich vermute, dass er Euch nichts davon erzählt hat. Er versuchte nicht, mir den Hof zu machen, aber in seinen Augen erkannte ich, dass er es gern getan hätte. Er war zwar ein Mönch, aber mehr noch war er ein Mann. Und eine Frau spürt, wenn ein Mann sie begehrt.
Wir unterhielten uns über die Lebensgeschichten der Heiligen, über die
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