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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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als Feigheit aus und war daher umso entschlossener, mich mitzunehmen. »Bete zu Gott, dass er dir Stärke verleihen möge. Und nun lass uns wieder an die Arbeit gehen!«
    Damit war ich entlassen. Einer Ohnmacht nahe blieb ich draußen vor dem Skriptorium stehen. Das Blut rauschte in meinen Ohren. In meine Panik mischte sich ein erschreckendes Gefühl von Erregung, ja sogar Erwartung.
    Der Weg in die Berge würde mich mit Wundern konfrontieren und mit Häresie. Und er würde mich zu Madeleine de Peyrolles führen.

MADELEINE
    Der Feiertag zu Ehren des Heiligen Simon und des Heiligen Judas Thaddäus lag hinter uns. Langsam neigte sich der Herbst seinem Ende zu, und der neue Steinfußboden in der Kirche war mit Stroh bedeckt worden, um den Mörtel vor Frostrissen zu schützen. Die Tagelöhner und Aushilfen waren ausbezahlt worden, und Sicard und mein Vater arbeiteten nun im Kapitelsaal.
    Die beiden würden die kalten Monate damit verbringen, die Steine für die Nischen und Fenster zu meißeln, zu verzieren und Skulpturen anzufertigen. Ich kann mich noch genau an jenen Morgen erinnern, daran, wie sie schweigend nebeneinander arbeiteten und ihr Atem in der Luft zu gefrieren schien. Sie trugen trotz der Kälte fingerlose Handschuhe, denn die Beweglichkeit ihrer Hände durfte in keiner Weise eingeschränkt sein.
    Als ich eintrat, blickte mein Vater auf, jedoch erschien kein Lächeln auf seinem Gesicht. Ich merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Auch Sicards Miene war düster.
    Ich stellte den Korb mit ihrem Mittagessen auf eine Bank. Da die beiden keine Anstalten machten, ihre Arbeit zu unterbrechen, ging ich zu Sicard hinüber, um seine Geschicklichkeit zu bewundern. Ich liebte es, ihm zuzusehen, doch für gewöhnlich klagte er dann, er könne sich nicht konzentrieren, wenn jemand neben ihm stehe. An diesem Tag ignorierte er mich jedoch völlig, und mir wurde klar, dass es schlechte Neuigkeiten geben musste.
    Er meißelte und meißelte.
    Ich war an die stilisierten Statuen der Heiligen Jungfrau in den Kathedralen von Toulouse gewöhnt, die stets kühl und unnahbar wirkten und deren Körper unter den Gewändern verborgen blieben. Sicards Maria jedoch war dem richtigen Leben nachempfunden. Spielerisch balancierte sie das Jesuskind auf ihrer Hüfte, genau wie die Mütter, denen man jeden Tag auf den Straßen der Stadt begegnete. Ihr Gewand wirkte so echt, dass man den Eindruck hatte, es müsse bei jedem Windstoß neue Falten werfen. Es war die Madonna, wie ich sie mir immer vorgestellt hatte, genau wie die Frau, die ich an jenem Tag auf dem Mont Berenger erblickt hatte. Die Göttin war zu einem Menschen geworden, zu einer von uns. Die Statue gehörte zu den schönsten Dingen, die ich je in meinem Leben gesehen hatte.
    »Gefällt sie dir?«, fragte Sicard schließlich doch.
    »Sie ist wunderschön!«
    Mein Vater trat zu uns. »Der Junge ist begabt, nicht wahr?«
    Es war nicht nötig, darauf zu antworten.
    »Ich muss mit dir reden, Madeleine«, sagte er dann.
    Nun kamen sie also, die schlechten Neuigkeiten. Sicard drehte sich nicht um, während ich meinem Vater folgte.
    Er steckte den Hammer in seine Schürze, starrte zu Boden und scharrte mit dem Stiefel einen großen Steinsplitter hin und her. Wir standen im schattigen Inneren der alten Kirche. Die Säulen sahen aus wie die verrottenden Knochen eines riesigen Tieres.
    »Deine Mutter und ich hatten ein Gespräch«, begann er.
    »Geht es um Monsieur Maurand?«
    »Er lässt uns keine Ruhe. Er will eine Antwort.«
    »Aber du hast ihn doch schon einmal abgewiesen.«
    »Du scheinst nicht zu verstehen. Er ist ein mächtiger Mann und kann mir das Leben sehr schwer machen. Es ist schließlich nicht meine Schuld, dass wir in diesem Misthaufen hier gelandet sind.«
    Ich spürte die Röte in meine Wangen steigen. Dies war das erste Mal, dass er auf die Geschehnisse in Toulouse anspielte.
    »Ich bin Sicard versprochen.«
    »Sicard muss fortgehen, wenn er Steinmetz werden und etwas aus sich machen will. Wie lange wird er fort sein? Zwei Jahre, drei? Und du bist eine erwachsene Frau und schon seit geraumer Zeit heiratsfähig.«
    »Ich werde Monsieur Maurand nicht heiraten.«
    »Meiner Ansicht nach bleibt dir nichts anderes übrig, Mädchen.«
    »Ich habe gelobt, auf Sicard zu warten!«
    »Und wie lange?«, schnappte er. Dann wurde seine Stimme wieder sanft. »Du kennst diesen Maurand nicht. Ich kann mich ihm nicht nur dir zuliebe widersetzen. Und da ist noch etwas anderes. Als wir noch in

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