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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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waren gekommen, um Lobeshymnen zu singen, andere beteten dafür, geheilt oder gesegnet zu werden. Der gedämpfte Singsang und die unmelodischen Gebete hallten von den Felsen wider, als befänden sich die Büßer im Inneren einer Kathedrale. Das Gemurmel wirkte bedrückend auf mich.
    In jenem Moment erkannte ich, dass all diese guten Christenmenschen sich inbrünstiger nach der Madonna sehnten als nach Christus selbst. Sie war es, die ihre Hoffnung für die Zukunft repräsentierte und eine Art von Liebe symbolisierte, die sie verstehen konnten. Gott strafte, Christus diente, Maria jedoch gab ihnen Hoffnung. Sie war menschlich wie sie, eine Frau, die bedingungslos ihre Arme ausbreitete und selbst an den Erbärmlichsten unter ihnen nichts auszusetzen hatte.
    Wir alle wissen von Kindheit an, wie es ist, zu Füßen unserer Mutter zu knien. Dies ist so natürlich für uns wie das Atmen.
    Die heilige Mutter Maria hält nicht nur das Jesuskind in ihren Armen, sondern einen jeden von uns.
    Dennoch beunruhigte mich etwas an diesem Ort. Er war gefährlich. Die Kirche konnte keinen Nutzen aus ihm ziehen, denn an diesen Pilgern ließ sich nichts verdienen. Hier gab es keine Reliquie, die man in einem Schrein hätte ausstellen können, und keinen Priester, der die Stätte in Besitz nahm und den Menschen sagte, was sie denken sollten.
    Daraus konnte nichts Gutes werden.
    Ich gab meinem Pferd die Sporen und folgte meinem Gatten, seinen Knappen und den Hunden tiefer in den Wald hinein.
     
    *
     
    Ich war sehr stolz auf meinen geschickten Umgang mit dem Horn. Manche glauben, man müsse das Instrument einfach nur an die Lippen legen und hineinblasen, doch es gibt viele adlige Damen, die diese Fertigkeit nicht beherrschen. Ich muss mit aller Bescheidenheit sagen, dass ich darin selbst meinen Ehemann weit übertraf – wie mir sein Seneschall bestätigte. Mit dem Horn werden den Jagdhunden Befehle erteilt, denn sie sind darauf abgerichtet, sofort auf die verschiedenen Töne zu reagieren.
    Kurz nachdem wir den Teich der Madonna hinter uns gelassen hatten, nahmen unsere Radies – so nennen wir unsere Spürhunde – die Fährte eines Keilers auf, folgten ihr ins Dickicht und trieben das Wildschwein dort in die Enge. Ich rief die Hunde mit dem Horn zurück, um meine Geschicklichkeit mit dem Bogen zu erproben.
    Meine Stute, ein grauer Zelter, blieb bei solchen Gelegenheiten stets bemerkenswert ruhig. Ihre Ohren und Flanken zuckten, sobald die Radies aus dem Gebüsch auftauchten, doch dies waren die einzigen Anzeichen für ihr Unbehagen.
    Die Hunde bellten und knurrten und umkreisten den Keiler in gebührendem Abstand. Er hatte den Kopf gesenkt, bereit zum Angriff. Auf seinen Hauern glänzte Blut, denn er hatte bereits einen der Hunde getötet. Seine kleinen Augen beobachteten mich, als versuche er zu ergründen, was ich sei und welche Art von Bedrohung ich für ihn darstelle.
    Ich hob den Bogen, spannte ihn mit ruhiger Hand und erfreute mich an meiner eigenen Kühnheit. Raymond und sein Seneschall runzelten die Stirn, denn ihrer Ansicht nach sollte ich mich auf Hasen und Kaninchen beschränken.
    »Eleonore!«, schrie mein Gatte, woraufhin der Keiler in Panik geriet und auf mich zu stürmte. Ich blieb bewegungslos im Sattel sitzen und schoss den Pfeil ab. Er bohrte sich in den Hals des Tieres, das einen Schmerzensschrei ausstieß und davontaumelte. Das Blut aus der Wunde dampfte in der kalten Luft.
    Sobald die Meute erkannte, dass der Keiler geschwächt war, ging sie zum Angriff über. Das Wildschwein brach zusammen und war rasch erlegt. Am Abend würde frisches Fleisch über unserem Feuer rösten.
    »Ich wünschte wirklich, Ihr würdet auf mich hören und Euch nicht solcher Gefahr aussetzen«, murmelte Raymond.
    »Es gab keine Gefahr«, erwiderte ich, obwohl der Keiler mich eindeutig angegriffen hatte.
    Raymond sah mich finster an, sagte jedoch nichts mehr.
    Der Seneschall beorderte mit seinem Horn die Hunde zurück und stieg dann ab, um unseren Jagdpreis zu inspizieren. Sein Schulterzucken war das einzige Zeichen seiner Anerkennung.
    »Ihr hättet den Keiler mir überlassen sollen!«, begann Raymond schließlich erneut. Durch die Kapuze, die er sich über das Gesicht gezogen hatte, klang seine Stimme gedämpft. Es war kalt hier im Tal, der Herbst wich langsam dem Winter.
    Einer der Knappen brachte die Hunde fort. Sobald ihr Gebell sich entfernte, hörten wir es – ein dumpfes Summen irgendwo zwischen den Bäumen. Der Seneschall murmelte

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