Die Novizin
Leichtgläubigen und leicht zu Beeindruckenden zu vergiften.
»Nein, dieses Mal nicht«, erwiderte Bruder Subillais. »Es handelt sich um eine außergewöhnliche Sache. Ein Mädchen aus jenem Ort behauptet, an einem Teich auf dem Mont Berenger die Madonna gesehen zu haben. Waren dir diese Gerüchte bekannt?«
Ich musste zugeben, dass ich nichts davon wusste.
»Die Madonna?«, wiederholte ich und verspürte einen Anflug von Angst, da ich bereits ahnte, wohin dieses Gespräch führen würde.
»So sagt man zumindest.«
»Und du bist der Meinung, dass an diesen Gerüchten nichts Wahres ist?«
»Was mich beunruhigt, Bruder Donadieu, sind die Geschichten von Wunderheilungen, die an jenem Ort stattgefunden haben sollen. Und nun machen Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela in Saint-Ybars Halt, um den Teich zu besuchen.«
Ich schlug vor, dass der Bischof von Toulouse und der päpstliche Legat in Avignon auf der Stelle über diese Gerüchte unterrichtet werden sollten. Außerdem sollte jemand aus dem Bistum nach Saint-Ybars reisen, um der Angelegenheit nachzugehen.
Visionen von der Madonna stellten sich natürlich häufig als reine Erzeugnisse weiblicher Phantasie heraus. Doch Wunder konnten ausgesprochen einträglich sein. Durch weinende Statuen und Reliquien der Maria Magdalena wurden sogar der Bau und der Unterhalt von Kathedralen finanziert. Es gab kaum eine Kirche in der christlichen Welt, in der nicht wenigstens eine Heiligenreliquie aufbewahrt wurde. Damit ließen sich Pilger anlocken, die dafür zahlten, dass sie den Schrein zu sehen bekamen und dort den Segen erhielten. Meiner Ansicht nach hatten derartige Geschäfte eigentlich keinen Platz im geistlichen Leben. Doch ohne solche Einkünfte hätte sich vieles gar nicht finanzieren lassen.
»Möglicherweise kann die Angelegenheit der Kirche doch von Nutzen sein«, sagte ich.
»Es gibt dabei aber eine Schwierigkeit. Das Mädchen, das die Vision hatte, ist von zwei Mitbürgern der Hexerei und Verbreitung von Häresie beschuldigt worden.«
Bruder Subillais erhob sich und humpelte zum Fenster. »Hast du jemals den Teufel gesehen, Bruder Donadieu?«
Ich war bestürzt. Ich weiß, dass der alte Widersacher real ist, und glaube ebenso fest an seine Existenz wie an die Anwesenheit Gottes. Es ist ein grundlegender Lehrsatz unserer Religion. Aber die Frage, ob ich ihm schon einmal begegnet sei, überraschte mich.
»Nein, ich denke nicht, dass ich ihm jemals begegnet bin. Und ich hoffe, dass ich ihn auch niemals schauen werde.«
»Aber das kannst du gar nicht verhindern, Bruder Donadieu, es sei denn, du verbringst dein ganzes Leben in der Wüste. Ich habe ihn schon viele Male gesehen und du ebenfalls. Der Teufel ist überall! Sein Antlitz ist dasjenige einer Frau.«
Er warf mir einen Blick zu, als wisse er alles von mir. Ich spürte, wie meine Wangen zu brennen begannen, und fragte schnell: »Diese Frau in Saint-Ybars – wie lautet ihr Name?«
»Ihr Name ist Madeleine. Madeleine de Peyrolles. Ihr Vater ist ein Steinmetzmeister.« Er wandte sich vom Fenster ab und schaute mich an. »Bruder Donadieu! Geht es dir gut?«
»Ich fühle mich heute Morgen ein wenig unwohl.«
»Vielleicht wäre ein Aderlass hilfreich.«
»Ich wurde erst in der vergangenen Woche zur Ader gelassen.«
»Dann ein gutes Purgativ für die Gedärme und die Galle. Für unsere Reise musst du dich guter Gesundheit erfreuen.«
»Unsere Reise?«
»Du wirst selbstverständlich mit mir kommen, als mein Vikar. Wir werden dieses Mädchen ausfindig machen und es verhören. Die Ereignisse in Saint-Ybars bedürfen einer gründlichen Untersuchung.«
»Du beabsichtigst, in die Berge zu reisen? Ist das nicht gefährlich?«
»Es ist in der Tat gefährlich, Bruder Donadieu. Doch wir handeln zur Ehre Gottes, und unsere eigenen Leben sind bedeutungslos.«
»Ich fürchte nur, dass ich für diese Aufgabe nicht besonders geeignet bin. Ist in einem solchen Fall nicht jemand mit mehr Erfahrung erforderlich?«
»Wie gewinnt man an Erfahrung? Indem man an der Seite eines älteren Mannes steht und lernt, was dieser an Wissen weiterzugeben hat. Ich habe dich beobachtet, Bruder Donadieu. Gott hat dir einen wachen Geist und ein ausgezeichnetes Verständnis für sein Wort geschenkt.«
»Aber meine Gesundheit ist zurzeit nicht die beste.«
»Wie meinst du das?«
»Meine Körpersäfte sind nicht im Gleichgewicht. Und ich werde oft von Fieber geplagt.«
Bruder Subillais lächelte. Er legte meinen Widerwillen
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