Die Novizin
Toulouse. Ist das etwa auch gut?«
»Ich habe versprochen, zurückzukommen und dich zu holen.«
»Nun, du weißt, wo du mich findest.« Nur dass es dann zu spät sein würde. Dennoch konnte ich mir gar nicht vorstellen, im Kloster zu leben, ohne Sicard. Ich konnte mir mein Leben überhaupt nicht ohne ihn vorstellen, ohne seine groben Hände auf meinem Körper. Ich war wütend auf Sicard, auf meinen Vater, auf Maurand. Ich würde sie alle bestrafen, indem ich mich selbst bestrafte. Mein Leid würde ihres sein.
Ich riss mich von ihm los und drang tiefer in den Wald ein. Mittlerweile hatten wir uns verirrt, und ich hoffte darauf, irgendeinen Anhaltspunkt zu finden, der uns wieder aus dem Gebiet hinausführen würde. Vergebens! Es war schon spät am Nachmittag. Über uns knarrten die Äste der Eichen und Kastanien und warfen mit jedem Windstoß Blätter ab.
Ich geriet in Panik und lief immer weiter. Dann stieß ich auf das Fundament einer alten Mauer.
Einige Schritte daneben entdeckte ich eine weitere Mauer und spürte etwas Festes unter meinen Füßen. Ich schob den Blätterteppich mit den Schuhen beiseite. Unter einer Schicht aus Morast sah ich eine dunkelgrüne Fliese und begann daraufhin, den Morast zu entfernen. Als Sicard sich näherte und meinen Fund erblickte, half er mir.
Es handelte sich um ein grün-weißes Mosaik mit einem Muster aus Weinblättern. Der Wald hatte den Fußboden eines Römerhauses überwuchert, hatte die Ruine unter abgefallenen Blättern und einem Flechtwerk aus Efeu und Brombeersträuchern versteckt.
In den bröckelnden Überresten der Mauer, in einer Nische kurz über dem Boden, fand Sicard die kleine Statue einer Göttin. Sie bestand aus einem schwarzen Stein, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich kauerte mich neben Sicard, um die Figur genau zu betrachten. Unsere Blicke trafen sich. Ein Ort der Ketzer und Heiden! Plötzlich bekam ich Angst.
Ich machte Anstalten, fortzulaufen, doch Sicard griff nach meinem Arm und zog mich zu sich herunter.
»Nein!«, rief ich. Es war kalt, ich wollte nach Hause. Irgendwo krächzte eine Krähe.
»Küss mich!«, sagte er und presste seine Lippen auf die meinen. Er ging äußerst grob mit mir um und verhielt sich überhaupt nicht wie mein sanftmütiger Sicard. Ich versuchte, ihn wegzustoßen, aber er war zu stark für mich. Er schob meine Röcke hoch und drang gewaltsam in mich ein. Eine Art von Wahnsinn schien ihn befallen zu haben. Ich wollte kein Kind, nicht jetzt! Aber es war zu spät. Als ich ihn keuchen hörte und spürte, wie sich sein Rücken krümmte, wusste ich, dass er sich in mir ergossen hatte.
Anschließend ließ er sofort von mir ab und murmelte unentwegt: »Es tut mir Leid, es tut mir Leid …« Ich zog meine Röcke wieder hinunter. Sie waren voller Schlamm vom Waldboden. Wenn wir nach Saint-Ybars zurückkamen, würde schon bald die ganze Stadt wissen, was wir getan hatten.
Hastig stand ich auf und stürzte davon, blindlings durch den Wald, bis ich kaum noch atmen konnte und mir mein Herzschlag hämmernd in den Ohren klang. Was sollte ich jetzt bloß tun?
Nun brauchte ich die Madonna dringender als jemals zuvor.
Wir erreichten das Stadttor gerade noch rechtzeitig, denn die Wächter waren soeben dabei, es zu schließen. Ohne ein Wort trennte ich mich von Sicard und hetzte nach Hause. In jener Nacht bat ich die Madonna darum, einzugreifen, aber sie zeigte sich nicht. Ich wusste nicht, ob sie mir jemals wieder erscheinen würde.
ELEONORE
Nach dem Mittagsmahl ritten wir zur Jagd. Sie führte uns zum Mont Berenger, an jene Stätte, die inzwischen vom Volk und von den Pilgern der Teich der Madonna genannt wird. Eine große Menge hatte sich dort versammelt.
Ich erblickte diesen fürchterlichen Ort zum ersten Mal. Die Felsen bäumten sich von der Erde auf wie verängstigte Pferde und wichen vor der schwarzen Quelle an ihrem Fuß zurück, als habe ihr eigenes Spiegelbild im Wasser sie zu Tode erschreckt. Rings um den Teich verstreut lagen Felsbrocken, Relikte vergangener Stürme. Einige waren so klein, dass man sie in die Hand nehmen konnte, andere hatten die Ausmaße eines Ochsen.
Der Teich selbst war so groß wie der Innenhof unserer Burg. Er wurde vom Quellwasser gespeist, das selbst im Sommer zwischen den Felsen hervorsickerte. Genau dort, an der Quelle, scharten sich die meisten Pilger und starrten hoffnungsvoll auf die Klippen.
Es herrschte eine ehrfurchtsvolle Atmosphäre, wie an einem heiligen Feiertag. Einige Menschen
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