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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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anderen Novizinnen und die erstaunten Blicke der Sakristanin nahm ich nur am Rande wahr. Dann muss ich ohnmächtig geworden sein, denn ich erinnere mich nur, dass ich plötzlich in meiner Zelle lag und die Äbtissin sich über mich beugte.
    »Madeleine«, flüsterte sie.
    Ich versuchte, mich aufzusetzen, doch sie drückte meine Schultern nieder und forderte mich auf zu ruhen. Törichterweise fragte ich sie, ob sie ebenfalls beobachtet habe, dass die Statue sich bewegte. Natürlich verwirrte sie diese Frage.
    »Die Statue? Welche Statue, mein Kind?«
    Was hätte ich ihr sagen sollen?
    »Welche Statue?«, wiederholte sie.
    Ich schüttelte den Kopf und gab vor, nur geträumt zu haben. Ein Ausdruck von Verwunderung und Angst erschien in den Augen der Äbtissin, doch dann ließ sie mich zum Glück allein, damit ich schlafen konnte.
    Am folgenden Morgen hatte ich mich wieder erholt und ging in die Kapelle. Die Heilige Jungfrau befand sich auf ihrem Sockel an ihrem angestammten Platz. Sanft fuhr ich mit den Fingerspitzen über den kalten Stein, als könne sie meine Berührung spüren. Doch ihre Lippen rührten sich nicht, und ihre blauen Augen waren lediglich bemalter Stein.
    Da vernahm ich hinter mir Schritte und drehte mich um. Es war die Äbtissin.
    »Fühlst du dich heute Morgen besser?«, erkundigte sie sich.
    Ich nickte, da ich es mir nicht zutraute, zu sprechen.
    Sie schenkte mir ein Lächeln, was bei ihr sehr selten vorkam. Doch dann fiel ihr Blick auf mein Habit. Es war blutbefleckt. Die feinen Linien an ihrer Nasenwurzel vertieften sich zu einem Runzeln. Sie griff nach meinen Händen und flüsterte: »Was ist passiert?«
    Sie bluteten. Es war wieder geschehen.
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte die Äbtissin. Ihre Stimme klang hart.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Hast du dir diese Wunden selbst zugefügt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Lüg mich nicht an!«
    »Ich lüge nicht.«
    »Woher stammen sie dann? Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass Schwester Agnes die Abtei ständig in Aufruhr versetzt! Machst du dich etwa über uns lustig?«
    Wieder schüttelte ich den Kopf. Ich konnte es ihr nicht erzählen. Wie hätte ich es irgendjemandem sagen können?
    »Diese Wunden sind tief, sie müssen verbunden werden. Geh zur Infirmarin!« Die Äbtissin sah mich prüfend an und fragte nicht unfreundlich: »Was ist mit dir geschehen, Madeleine?«
    Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, und wünschte mir, sie würde mich einfach wieder fortschicken, zurück nach Saint-Ybars.
    »Es ist mir wirklich ein Rätsel, womit wir dich und Schwester Agnes verdient haben!«
    »Diese Wunden heilen immer sehr schnell«, sagte ich.
    »Immer? Du hast das also schon einmal getan?«
    »Ich habe das nicht …«
    Die Miene der Äbtissin wirkte verbittert. Sie glaubte mir nicht. Wie denn auch? Wahnsinn, das war die einzige Erklärung. Meine Seele gehörte dem Teufel.

BERNARD
    Falls der Teufel einen Geburtsort hat, liegt er zweifellos irgendwo in den Bergen des Südens. Mir schien, dass allein schon die Luft in dieser Gegend Häresie verströmte. Unter jedem Stein fand man hier einen Ketzer. Die so genannten Parfaits hatten viele Jahre lang gepredigt und sogar von den Adligen Beistand erhalten. Die Seigneurs von Fanjeaux, Mirepoix und Cabaret und vielen anderen Burgen hatten sich offen zum Ketzertum bekannt, und eine große Zahl weiterer Adelsfamilien war zumindest den Credents , den Gläubigen, zuzurechnen gewesen.
    Jeweils zu zweit waren die Parfaits mit ihren schwarzen Kapuzen durch das Land gezogen, hatten ihren Unflat verbreitet und in Scheunen oder unter freiem Himmel ihre Gottesdienste abgehalten. Diese Katharer hatten sich über die Autorität des Heiligen Vaters hinweggesetzt und dem armen Volk eingetrichtert, dass der Teufel – den sie Rex Mundi nannten – Gott ebenbürtig und die Welt gänzlich seine Schöpfung sei. Sie vertraten den Standpunkt, dass alle materiellen Dinge von Natur aus schlecht seien, dass die Reise der Seele durch das Leben nicht Erlösung, sondern Elevation bringe, und dass die Aufgabe einer Seele darin bestehe, den Kreislauf der Wiedergeburt in die materielle Welt zu durchbrechen.
    Die Katharer verleugneten die Evangelien, die jungfräuliche Geburt und das Kreuz. Sie verurteilten den Verzehr von Fleisch, und obwohl sie jegliche Art von Geschlechtsverkehr ablehnten oder dies zumindest behaupteten, wurde allgemein angenommen, dass sie der Sodomie frönten.
    Der Heilige Dominik, der Gründer

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