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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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machen.
    Einer der Diener schwang sich aus dem Sattel, ging zu der Frau hinüber und sprach mit ihr. Der Mann neben ihr war eindeutig tot. Er lag mit dem Gesicht nach unten in einer Pfütze. Das Hirn quoll aus seinem zertrümmerten Schädel hervor und vermischte sich allmählich mit dem Schlamm.
    »Was ist geschehen?«, erkundigte sich Bruder Subillais bei dem Diener, der inzwischen zurückgekehrt war.
    »Sie sagt, dass sie und ihr Mann von Räubern überfallen wurden, Exzellenz.«
    Ich stieg von meinem Maulesel hinab und beugte mich zu der Frau nieder. Gern würde ich behaupten, dass ich dies aus reinem Mitleid tat, aber für mich war es vor allem eine willkommene Gelegenheit, mich durch die Bewegung ein wenig aufzuwärmen. Behutsam schob ich den Stoff in ihren Armen auseinander. Wie ich vermutet hatte, kam ein Säugling zum Vorschein, mit dem offensichtlich etwas nicht stimmte. Es war der trostloseste Anblick, der sich mir jemals geboten hatte. Die Augen der Frau blickten ins Leere, bar jedes Funkens Hoffnung.
    »Mein Name ist Vater Bernard Donadieu«, richtete ich das Wort an sie. »Ich gehöre dem Predigerorden an und komme aus Toulouse.«
    Sie starrte geradewegs durch mich hindurch.
    Ich untersuchte den Säugling genauer. »Das Kind ist tot«, sagte ich dann. Alles außer der nackten, unverblümten Wahrheit machte keinen Sinn – nicht hier draußen, mitten im Regen und im Nirgendwo.
    Die Bäuerin umklammerte ihr Kind nur noch fester. Was mochte ihm wohl zugestoßen sein? Und wie lange mochte die Frau bereits dort sitzen?
    »Wie lautet dein Name?«, fragte ich sie.
    Sie antwortete nicht.
    »Wo willst du hin?«
    Bruder Subillais trat an meine Seite und verlangte: »Gib mir das Kind!« Etwas in seiner Stimme brachte Menschen dazu, ihm zu gehorchen, selbst wenn sie es gar nicht wollten. Dies war seine große Stärke als Inquisitor. Sofort kehrte Leben in die Augen der Frau, und sie kam seiner Aufforderung nach.
    Unsere Gruppe muss ein merkwürdiges Bild abgegeben haben – die Gesichter der Diener verrieten Missmut und Niedergeschlagenheit, Regen troff von unseren Gewändern, und wir standen alle knöcheltief im Schlamm, während Bruder Subillais das tote Kind betrachtete, als hätte er eine heilige Reliquie entdeckt.
    »Das Kind ist tot«, wandte er sich an die Frau. »Wir müssen uns um seine Seele kümmern. Glaubst du an den Erlöser Jesus Christus und seine Heilige Apostolische Kirche?«
    Niemals werde ich das Antlitz dieser Frau vergessen. Der Hunger hatte ihre Wangen- und Kieferknochen hervortreten lassen, und im grauen Licht wirkten sie wie gemeißelt. Ihre Augen waren riesengroß, wie die eines Kindes. Ich hatte den Eindruck, dass unsere Anwesenheit ihr einerlei war, sie wäre vermutlich einfach sitzen geblieben und allein gestorben. Aber sie besaß nicht genug Kraft, um sich Bruder Subillais’ barmherziger Art zu widersetzen.
    Also beantwortete sie seine Frage mit einem Kopfnicken.
    »Ist das Kind getauft worden? Hat ein Priester sein Haupt mit Wasser besprengt?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Dann werden wir es hier an Ort und Stelle taufen und ihm ein christliches Begräbnis bereiten, damit seine Seele im Himmel erlöst werden kann. Wie steht es mit deinem Ehemann? Ist er häufig in die Kirche gegangen?«
    Ein kaum wahrnehmbares Nicken.
    Ich habe nie erfahren, was auf dieser einsamen Straße geschehen war. Aber nach allem, was diese Frau durchgemacht haben musste, sah sie das Folgende gewiss wie durch einen Nebelschleier.
    Bruder Subillais befahl unseren Dienern, am Wegesrand ein Grab auszuheben. Die Arbeit gestaltete sich schwierig, denn der karge Boden war sandig und voller Felsen. Außerdem lief das Loch schneller mit Regenwasser voll, als die Diener zu graben vermochten.
    Hastig vollzog Bruder Subillais die Taufe und verwendete dafür Wasser aus einer nahe gelegenen Quelle. Der Regen durchnässte seine Bibel, während er das Taufgebet sprach. Unterdessen murrten die Diener und empörten sich darüber, dass wir uns solche Umstände gemacht hatten, noch dazu wegen einer Frau.
    Schließlich wurden der Mann und der Säugling in das flache Grab gelegt und mit Erde bedeckt. Bestimmt würden wilde Tiere die Leichen wieder ausgraben, sobald wir fort waren, aber wir hatten unser Bestes getan.
    Wir kehrten zu unseren Reittieren zurück, um die elende Reise in die Berge fortzusetzen. »Was ist mit der Frau?«, fragte ich Bruder Subillais.
    »Wir werden sie mitnehmen.« Er führte die Bäuerin zu seinem

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