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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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Maulesel und sagte ihr, sie solle aufsteigen.
    »Ist das klug, Bruder Subillais?«, warf ich ein und meinte damit: Ist das würdevoll?
    »Ich werde zu Fuß gehen.«
    »Nimm meinen Maulesel.«
    »Nein, das ist meine Entscheidung! Jesus hätte dasselbe getan.«
    Ich erzähle Euch diese Geschichte, damit Ihr Bruder Subillais verstehen lernt. Und ich sage Euch eines: An jenem Tag handelte er nicht aufgrund seiner Gefühle, denn er war kein Mann, der sich von Sentimentalitäten beeinflussen ließ. Der Schlüssel zu seinem Charakter lag in seiner letzten Bemerkung.
    Jesus hätte dasselbe getan.
    Bruder Subillais sah seine Aufgabe nicht darin, Güte und Barmherzigkeit zu zeigen, sondern darin, das zu tun, was unser Erlöser getan hätte, um weitere Seelen zu retten. Subillais bemühte sich sein ganzes Leben lang, diese Aufgabe so gut wie möglich zu erfüllen. Seine Sicht der Dinge gründete gänzlich auf seiner Auslegung der Bibel und der Schriften der Heiligen.
    Unglücklicherweise vermochte er in seinem eigenen Herzen kein Licht zu finden, das ihn hätte leiten können.

MADELEINE
    Der Sturm raste vom Norden her über die Ebene und brachte tiefschwarze Wolken vom Horizont mit, die sich über unseren Köpfen auftürmten. Ein scharfer Wind, die Tramontane, donnerte durch das Tal. Sie heulte über den Dächern, als wäre sie der Höllenfürst höchstpersönlich, der an den Balken rüttelte und Einlass in unser Haus begehrte.
    Ich stand am Fenster meiner Zelle und beobachtete, wie der Sturm aufzog. Der Tag war für die Jahreszeit ungewöhnlich mild gewesen, doch das änderte sich mit dem ersten Band schwarzer Wolken, das am Horizont auftauchte. Eisige Windböen fegten über den Kreuzgang und rissen mich beinahe zu Boden, als ich zur Kapelle lief.
    Der Regen trommelte auf die Dächer, als würde ein Dämon säckeweise Kupfernägel vom Himmel schleudern. Schon bald stand der Kreuzgang unter Wasser, und im Rauschen des Windes konnten wir unsere eigenen Stimmen, die die Psalmen zur Vesper sprachen, nicht mehr verstehen. Bei einem plötzlichen Donnerschlag warfen sich einige meiner Mitnovizinnen kreischend auf die Knie und flehten den Herrn an, uns zu verschonen. Mir selbst wäre jeder Tod willkommen gewesen, wenn er mich nur von diesen endlosen Gebeten und dem harten Bett erlöst hätte. Allerdings wünschte ich, der Herr würde ihn ein wenig leiser gestalten.
    Es waren nur wenige Schritte von der Kapelle zum Dormitorium, doch keiner von uns gelang es, den Weg zurückzulegen, ohne dass ihr Gewand vollkommen durchnässt wurde und ihr Schleier verrutschte. Die Äbtissin ordnete an, dass wir in unseren Zellen für jene beten sollten, die in dieser Nacht ohne den Schutz von Steinmauern auskommen mussten.
    Der Sturm hatte das Leintuch vor meinem Fenster zerfetzt. Der Fußboden war überschwemmt, und das Stroh auf meiner Pritsche hatte sich in eine triefende Masse verwandelt. Dann blies ein Luftzug die Talgkerze aus, die ich in der Hand hielt. Ich fror, es war dunkel, und ich hatte keinen Platz mehr, wo ich schlafen konnte.
    Mein Leben als Büßerin hatte seinen Tiefpunkt erreicht.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange ich so dastand. Mir fiel nichts ein, was ich sonst hätte tun sollen. Schließlich unterbrachen die Schreie einer Frau meine jämmerliche Nachtwache. Ich eilte zum Fenster und starrte hinaus.
    Beinahe im selben Augenblick zuckte ein Blitz über den Himmel und tauchte die Szene draußen in ein unheimliches Licht. Schwester Agnes rannte durch den Kreuzgang. Sie hob den Blick dem finsteren Himmel entgegen, lachte und war dabei, sich die Kleider vom Leib zu reißen. Dabei rief sie Wörter in einer Sprache, die ich nicht verstand.
    In der nächsten Sekunde versank die Welt wieder in Dunkelheit, doch das schreckliche Bild – Agnes, die umhertobte wie ein Dämon – hatte sich in mein Gehirn gebrannt. Kurz darauf ertönte ein ohrenbetäubender Donnerschlag, der die Klostermauern dermaßen erschütterte, dass der Boden unter meinen Füßen bebte.
    Doch man konnte Agnes immer noch draußen hören, die Geräusche einer Wahnsinnigen, einer Hexe. Als der Kreuzgang wenig später von einem weiteren Blitz hell erleuchtet wurde, sah ich, dass Agnes nun vollends nackt war. Auf der Haut zwischen ihren Brüsten leuchtete eine purpurrote Narbe. Die Äbtissin und die Sakristanin rangen mit ihr und versuchten, sie fortzubringen.
    Ich lief hinaus, obwohl die Ordensregel uns untersagte, vor der Matutin unsere Zellen zu verlassen. Ich beobachtete,

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