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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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tut mir Leid, Madeleine«, sagte sie sanft. »Ich hätte dich warnen sollen. Schwester Agnes ist eine fleißige Cellerarin und eine gute Nonne, aber der Herr in seiner Weisheit hat sie ein wenig anders gemacht als dich oder mich. Ihr Verhalten ist manchmal unberechenbar.«
    »Es liegt also nicht an mir?«
    Sie warf mir einen Blick zu. Agnes – so einfältig sie auch sein mochte – musste etwas gesagt haben, das das Misstrauen der Äbtissin mir gegenüber geweckt hatte. Ich ahnte, worum es dabei ging: Auf irgendeine Weise hatte Agnes mein Geheimnis erspürt. Weil sie wahnsinnig war, konnte sie auch den Wahnsinn spüren, der auf mir lastete.
    »Lass uns zusammen beten«, sagte die Äbtissin nur.
    Wir gingen in die Kapelle und sanken vor der Heiligen Jungfrau auf die Knie. Ich flehte die Muttergottes inbrünstig an, meine schreckliche Gabe von mir zu nehmen.
    Anschließend schritten wir durch den Kreuzgang. »Sie wird sich an dich gewöhnen«, bemerkte die Äbtissin.
    Ich starrte sie entsetzt an. Beabsichtigte sie nach dem, was sie gerade erlebt hatte, etwa immer noch, mich für die Cellerarin arbeiten zu lassen?
    »Wäre es nicht besser, wenn ich irgendwo anders dienen würde, vielleicht im Infirmarium? Ich besitze Kenntnisse über Pflanzen und Kräuter.«
    Die Äbtissin war eine schmächtige Frau, die mir lediglich bis zur Schulter reichte. Doch nun gab sie mir mit einem einzigen Blick das Gefühl, wieder ein kleines Kind zu sein. »Beim Eintritt ins Kloster hast du Gehorsam gelobt. Und du wirst gehorsam sein! Hast du verstanden?«
    »Ja, Mutter.«
    Gehorsam, Armut, Keuschheit. Mein neues Leben hatte begonnen.
     
    *
     
    Und so arbeiteten Schwester Agnes und ich in den folgenden Wochen Seite an Seite, obwohl uns beiden voreinander graute und wir kaum ein Wort sprachen. Sie ließ sich nicht helfen. Wenn ich mich ihr näherte, während sie Knoblauch zählte, fegte sie rasch alles in ihr Habit und zog sich in die entgegengesetzte Ecke des Kellers zurück, als sei ich eine Diebin, die ihr Geld stehlen wollte. Füllte ich Honig ab, schlug sie mir die Waben aus der Hand und flüchtete danach wieder in ihre Ecke.
    Ganz offensichtlich wäre sie lieber allein geblieben und hätte in Ruhe ihre ausgedehnten Gespräche mit den Oliven und Käselaiben geführt. Damit war sie zuvor vollkommen glücklich und zufrieden gewesen.
    Also versuchte ich, ihr auf meine Weise zur Hand zu gehen. Zwischen None und Vesper wanderte ich in den Wald, sammelte Beeren und Kräuter, mit denen ich mich besser auskannte als jede andere, und brachte sie in den Lagerraum, um sie zu trocknen und haltbar zu machen. Es war einsame Arbeit, und Agnes warf die Ergebnisse meiner Bemühungen dem Schwein zum Fraß vor, wenn ich nicht aufpasste. Doch als der Herbst zu Ende ging, hatte ich nach meinen Ausflügen immer weniger vorzuweisen, sodass Agnes mich überhaupt nicht mehr als Hilfe betrachtete, sondern eher als Rivalin um die Gunst der Knoblauchzehen.
    Ich begann damit, regelmäßig das Schwein zum Waldrand zu führen, damit es die herabgefallenen Eicheln fressen konnte. Mit einem langen Stock schlug ich die letzten Eicheln von den Bäumen. Schwester Agnes machte dem allerdings bald ein Ende, indem sie das Schwein vor meinen Augen schlachtete. Ich erinnere mich daran, wie sie das quiekende Tier zwischen ihren Knien einklemmte und ihm schnell und geschickt mit einem Messer die Kehle durchschnitt, fachmännisch wie ein Dorfmetzger. Sie verfügte über erstaunliche Kräfte. Verblüfft beobachtete ich, wie sie ohne fremde Hilfe den Körper an einem Dachbalken aufhängte und das Blut in einer Schüssel auffing, um Blutwurst daraus herzustellen.
    Manchmal ertappte ich sie dabei, wie sie auf eigenartige Weise an mir vorbeisah, so, als stehe jemand hinter mir, jemand, den sie zwar erkannte, jedoch nicht anzusprechen wagte. Bei diesen Blicken sträubten sich mir die Nackenhaare, und ich bekam eine Gänsehaut auf den Armen. Vermutlich hätte ich die Äbtissin abermals bitten sollen, mir eine andere Aufgabe zuzuweisen, aber daran hinderte mich mein Stolz. Ich war mir meiner vorgetäuschten Demut wohl bewusst und hatte beschlossen, alles klaglos auf mich zu nehmen.
    Mir war natürlich klar, was die Äbtissin mit ihrer Entscheidung bezweckt hatte. Sie hatte die beiden Verrückten aus dem Weg geschafft, in den Keller, wo sie die friedliche Eintracht des Klosters nicht zu stören vermochten.
     
    *
     
    Eines Morgens schreckte ich hoch, doch es war nicht die Glocke zur

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