Die Obamas
Absichten sowieso nicht verstanden: Wie konnte überhaupt jemand auf die Idee kommen, Michelle Obama, die einen großen Teil ihrer Karriere den Benachteiligten gewidmet hatte, sei eine Materialistin vom Schlage einer Marie Antoinette? Wie konnten liberale Anhänger glauben, Barack Obama, dessen eigener Vater aus dem Ausland stammte, meine es mit der Reform des Einwanderungssystems nicht ernst? Der Präsident und seine Frau waren dickköpfig, jeder für sich und auch gemeinsam; kritisierte man sie, reagierten sie bemüht ausführlich oder gleichgültig.
Einige Tage nachdem sie vom Golf zurückgekehrt waren, ergab eine neue Umfrage, dass mehr Amerikaner als je zuvor, nämlich 18 Prozent der Erwachsenen und 31 Prozent der Republikaner, der Meinung waren, Obama sei Muslim. (Die Umfrage war
vor
den Äußerungen des Präsidenten zum Islamischen Zentrum durchgeführt worden.) Nur ein Drittel hielt ihn für einen Christen, wesentlich weniger als ein Jahr zuvor, [64] und weitere 43 Prozent sagten, sie wüssten nicht, welcher Religion er angehöre. Es war unglaublich – manche, die behauptet hatten, Obama sei seinem früheren Pastor Reverend Jeremiah Wright jr. hörig, hielten ihn jetzt für einen frommen Anhänger des Propheten Mohammed.
Einige Demokraten kritisierten das Weiße Haus, weil es den Muslim-Gerüchten nicht mit Bekenntnissen zum christlichen Glauben begegnete: Konnten die Berater dem Präsidenten nicht ab und zu eine Bibel in die Hand drücken? Oder ihn endlich dazu bewegen, in eine Kirche einzutreten? Zu Beginn seiner Präsidentschaftskampagne hatte Obama seine Religiosität intensiv vermarktet; seinen entscheidenden Sieg in den Vorwahlen in South Carolina hatte er zum Teil dadurch errungen, dass er in Kirchen redete und Fotos verbreitete, die ihn mit gesenktem Kopf im Gebet zeigten. Doch seit dem Wright-Skandal hatten die Obamas sich weitgehend auf den Standpunkt zurückgezogen, ihr Glaube sei ihre Privatsache und kein Gegenstand öffentlicher Diskussion. Als Beobachter im Sommer 2010 unauffällig darum baten, der Präsident möge seinen christlichen Glauben wieder mehr herausstellen, wurde die Angelegenheit innerhalb des Weißen Hauses nach Auskunft von David Axelrod und anderen praktisch nicht ernsthaft diskutiert. Hätte der Präsident erfahren, dass sein Stab strategische Überlegungen im Zusammenhang mit seiner Religiosität anstellte, wäre das »nicht gut angekommen«, erläuterte Axelrod. Seit die Obamas ins Weiße Haus eingezogen waren, seien sie in Abständen in die Kirche gegangen, das würden sie auch weiter so halten und damit basta. Es gab kein kreatives Brainstorming darüber, wie man in der Öffentlichkeit den christlichen Glauben des Präsidenten unterstreichen könne, sagte ein anderer Mitarbeiter, weil jede Diskussion sich in dem Rahmen halten musste, in dem Barack Obama tatsächlich etwas zu tun bereit wäre. [65]
Am darauffolgenden Wochenende brachen die Obamas zu einem »echten« Urlaub auf, nach Martha’s Vineyard, wo sie mit Freunden aus Chicago an den Strand gingen und zu Abend aßen. Die Insel ist schon seit langem ein sommerlicher Treffpunkt für Schwarze, die es bis nach ganz oben geschafft haben; in gewissem Sinn waren da viele Erste Familien versammelt, Männer und Frauen, die wussten, wie aufregend und beängstigend es ist, dort zu sein, wo niemand ihresgleichen je zuvor gewesen war. Ausnahmsweise wurde der Urlaub der Obamas einmal nicht durch aktuelle Ereignisse unterbrochen, und der Präsident und die First Lady wurden nach dem schrecklichen Sommer ein wenig lockerer, redeten sich ihren Ärger von der Seele, lachten über die Absurdität mancher Situationen, über die Gerüchte, dass der Präsident ein Muslim sei, und über ihre diversen Fluchtphantasien.
Freunde hatten den Eindruck, dass Michelle mit Kritik weniger gut umgehen konnte als der Präsident. Sie ärgerte sich über die Reaktionen auf ihre Spanienreise: dass man ihr zutraute, nicht daran zu denken, wie schlecht es vielen Amerikanern ging, dass man sich überhaupt daran stieß, wenn eine Mutter mir ihrer Tochter verreiste. Ist doch egal, sagte der Präsident und meinte, sie solle sich nicht alles so zu Herzen nehmen. Aber das war leicht gesagt.
Auch bemerkten ihre Freunde in diesem Urlaub, wie sehr sich die Obamas inzwischen an gewisse Vorteile gewöhnt hatten, die das Präsidentendasein mit sich brachte. Einmal luden sie ihre alten Freunde Allison und Susan Davis ein, sich mit ihnen an einen leeren
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