Die Obamas
was absolut notwendig und längst überfällig war? Würde er anfangen, wie ein Politiker zu handeln?
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Ein paar Tage nach der Wahl brachen der Präsident und die First Lady zu einer Reise nach Indien und Indonesien auf. Es war die klassische Präsidentennummer: Wenn du zu Hause eine Niederlage erleidest, wechsle das Thema, plane eine Auslandsreise und lasse eindrucksvolle Fotos vor einer spektakulären Kulisse machen. Manche Demokraten stöhnten: Indien zog Arbeitsplätze aus den Vereinigten Staaten ab, warum um Himmels willen musste der Präsident ausgerechnet in dieses Land reisen?
In Mumbai – der Präsident führte unterdessen Gespräche über die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern – besuchte die First Lady eine Gruppe von Waisenkindern und Herumtreibern; sie entledigte sich ihrer Schuhe, spielte mit den Kindern »Himmel und Hölle« und tanzte zu einem Song aus einem Bollywoodfilm.
Der Stab der First Lady kannte inzwischen die magische Formel: Schickt Michelle Obama in einen Raum voller Kinder – vor allem Kinder, die auf die eine oder andere Art Außenseiter sind – und lasst sie ganz natürlich miteinander umgehen. Mit ziemlicher Sicherheit entwickelt sich daraus ein denkwürdiger Moment, der sich in bewegenden, positiven Fotos und Filmen festhalten lässt. »Wir brauchten nichts weiter zu tun, als die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen«, sagte Melissa Winter, die stellvertretende Stabschefin der First Lady, hinterher. Im Grunde genommen waren Begegnungen wie diese nichts weiter als die logische Fortentwicklung jenes prägenden Besuchs in der Londoner Anacostia High School. Der Stab des Ostflügels wiederholte solche Auftritte wieder und wieder, da sie auf den Punkt brachten, wofür Michelle Obama in den Augen der Welt stand: für die Idee, dass jeder alles werden kann. Die Bilder ihres Besuchs, die um die ganze Welt gingen, waren das genaue Gegenteil der Fotos, die während ihrer Spanienreise entstanden waren: Die First Lady ging elegant über Konventionen und Kastengrenzen hinweg, sie wirkte fröhlich, zugänglich, bodenständig – »mehrwertig«, wie sie ihrem Team später anerkennend mitteilte. »Mehrwertig« war einer ihrer Lieblingsausdrücke und gleichzeitig eines der größten Komplimente, die sie machen konnte. Es bedeutete, dass ihre Auftritte auch für die Regierung von Nutzen waren, dass sie dem Präsidenten in irgendeiner Weise halfen.
Auch wenn einige Demokraten die Reise nicht guthießen, war sie für den Präsidenten perfekt, denn sie beförderte ihn aus einem tristen und von den Folgen der Wahlniederlage geprägten Washington zurück in eine Welt, die er vor Jahrzehnten hinter sich gelassen hatte. Seit seinem Amtsantritt hatte der Präsident zweimal versucht, Indonesien zu besuchen, Heimatort seiner Kindheit und das bevölkerungsreichste islamische Land der Welt, hatte jedoch beide Male die Reise verschieben müssen. Zwar stand ihm und der First Lady nur ein halber Tag für Indonesien zur Verfügung, doch konnte er wenigstens die Lieblingsgerichte aus Kindertagen essen und eine Ehrenmedaille für seine Mutter entgegennehmen, die sich schon früh für die Vergabe von Mikrokrediten an arme Indonesier eingesetzt hatte. [69] Außerdem bot Indonesien die Kulisse für ein weiteres denkwürdiges Foto von Michelle:
Das Präsidentenpaar besuchte die größte Moschee in Jakarta, zog respektvoll die Schuhe aus und setzte sich zu einem Gespräch mit dem Imam zusammen. Die dabei entstandenen Bilder waren bemerkenswert, vor allem im Hinblick darauf, wie anders Michelle Obama aussah. Aus Respekt vor der muslimischen Tradition trug sie bei dem Besuch in der Moschee einen weich fallenden gelben Hosenanzug und ein bedrucktes Kopftuch. Sollten die Menschen zu Hause doch glauben, die Obamas seien Muslime: Aus internationaler und diplomatischer Sicht war es eine Geste tiefempfundenen Respekts. Die Fotos erschienen in Zeitungen in aller Welt.
Obama sprach ausländische Orts- und Eigennamen stets mit großer Perfektion aus – jeder Vokal, jeder Konsonant, jede Betonung stimmte. Da war sie endlich wieder: Obamas Virtuosität, die sich nie mit dem Zweitbesten zufriedengab. Gleichzeitig wandte er sich damit auch gegen das Klischee vom provinziellen, tölpelhaften Amerikaner, als den man seinen Vorgänger im Ausland wahrgenommen hatte. In Jakarta gab er für einen amerikanischen Präsidenten ein äußerst ungewöhnliches Bild ab: Denn er beendete seine Rede in akzentfreiem
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