Die Obamas
abgesehen, hatte er für Geständnisse wenig übrig. Das Bemerkenswerte an der internen Debatte über seine emotionale Aussage war, dass selbst viele ranghohe Mitarbeiter im Weißen Haus noch immer das Gefühl hatten, ihren Chef nicht ganz durchschauen zu können.
Doch ob seine Zerknirschtheit nun echt war oder nicht – Obama bereute offenbar keine seiner Entscheidungen. Er sagte seinen Beratern dasselbe, was er schon in seinen Reden vor den Zwischenwahlen gesagt hatte: Die Wahlergebnisse seien eine Reaktion auf die wirtschaftliche Lage, nicht auf seine Politik. Die Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus hätten sich umgekehrt, weil das Land wolle, dass
beide
Parteien zusammenarbeiteten und Entscheidungen nicht unter der alleinigen Führung der Demokraten getroffen würden. »Es gibt in der Politik Menschen, die sich von einer verlorenen Wahl in ihrer Person abgeurteilt sehen und daran ihren Wert, ihren Selbstwert messen«, sagte David Axelrod. »Der Präsident gehört nicht zu ihnen.« Es handelte sich anscheinend um einen weiteren Versuch Obamas, sich von der Politik abzuschotten, sich vor ihr zu schützen, die abermalige Weigerung, sich in vollem Umfang den Konsequenzen seiner Entscheidungen zu stellen.
»Zweifellos ist Obama vollkommen überzeugt davon, dass er das Richtige tut«, sagte Tom Daschle. »Er blickt mit großer Zufriedenheit auf die ersten beiden Jahre seiner Amtszeit zurück.« Obamas mangelnde Selbstkritik brachte selbst Mitarbeiter seines Stabs im Weißen Haus zur Weißglut. »Er kommt einem vor wie ein Ehemann, der sich seiner Frau gegenüber eine Entschuldigung abringt, weil er weiß, dass sie das von ihm erwartet«, sagte ein ranghoher Beamter. »Aber im tiefsten Inneren glaubt er, dass seine Frau schuld ist.«
Zum tausendsten Mal staunten die in der Obama-Administration tätigen Veteranen aus Clinton-Zeiten darüber, wie groß die Unterschiede zwischen ihrem alten und ihrem neuen Chef waren. Nachdem Bill Clinton bei den Zwischenwahlen 1994 einen Denkzettel erhalten hatte, analysierte er wieder und wieder die Gründe für die dramatische Niederlage, quälte sich mit der Frage, was er hätte anders machen können, und engagierte schließlich den Berater Dick Morris für eine Umgestaltung seiner Politik. Clinton unterwarf sich der öffentlichen Meinung; Obama war zu sehr innengeleitet, zu skeptisch gegenüber der Mehrheitsmeinung, um sich auf diese Weise auszuliefern. Außerdem hatte das Weiße Haus sich bereits den ganzen Sommer mit der bevorstehenden Niederlage beschäftigt, jetzt lag dieses Ereignis endlich hinter ihnen, und er wollte zur Tagesordnung übergehen.
In einer Besprechung mit seinem engsten Stab nach den Zwischenwahlen befasste sich der Präsident zwar mit der Niederlage, aber nur, um seine Mitarbeiter mit ruhiger Stimme zu ermuntern, den Blick in die Zukunft zu richten. Im Weißen Haus ging Beratern zufolge überraschenderweise alles seinen gewohnten Gang, der Präsident sandte dieselben Signale aus wie eine Woche, einen Monat, ein Jahr zuvor. Der »alte« Kongress tagte noch ein paar Wochen, und Obama hatte eine lange Liste von Dingen, die er in dieser Zeit durchbringen wollte. »Ich habe da noch einige ehrgeizige Ziele«, sagte er. Das wirkte zu diesem Zeitpunkt leicht absurd, meinte Axelrod: Hätten sie unter dem harten Schlag nicht taumeln müssen?
***
Die Niederlage bei den Zwischenwahlen war erst das zweite große Debakel in der politischen Laufbahn des Präsidenten, nach seinem Scheitern gegen Bobby Rush im Jahr 2000 . Damals hatte Obama Rushs Medienberater, Eric Adelstein, zum Lunch eingeladen und ihn gebeten, schonungslos alles zu kritisieren, was er falsch gemacht habe. Er wolle besser werden, sich dem Wettbewerb stellen und niemals denselben Fehler zweimal machen.
Jetzt tat Obama etwas ganz Ähnliches. Und er tat es – für einen Präsidenten ungewöhnlich – ohne die Mitwirkung seiner Berater, nur mit seinem persönlichen Assistenten. An seinem Heer von Planern vorbei und fast ohne Beratung von irgendjemandem sonst, lud er Außenstehende zu Vieraugengesprächen ein, meistens zum Lunch. Schon die Einladungen selbst seien »eine Verbindung zur Außenwelt« gewesen, meinte Jarrett, »die ihm bis dahin gefehlt hatte«. Tom Daschle erhielt einen solchen Anruf, desgleichen David Brooks von der
New York Times,
der Lieblingskolumnist des Präsidenten. Auch Clinton-Berater wie David Gergen und Vernon Jordan standen auf der Liste, ebenso ein paar Republikaner:
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