Die Obamas
Bahasa. Wieder einmal schien es, als fühle er sich umso wohler, je weiter er von Washington entfernt war.
Für die letzten Wochen, in denen die Demokraten noch die Mehrheit im Kongress hielten, hatte sich Obama eine ausgesprochen umfangreiche Agenda verordnet: Er wusste, dass dies sein Abgesang als Gesetzgeber sein würde, seine letzte Chance, aus dem Sieg der Demokraten im Jahr 2008 Kapital zu schlagen, bevor der neue, republikanisch dominierte Kongress vereidigt wurde. Nun wollte er die Frage klären, wie man mit den von George W. Bush initiierten Steuersenkungen verfahren wollte, die bald hinfällig würden; außerdem stand eine Erweiterung der Arbeitslosenversicherung an, eine neue Version des START -Abkommens zur Rüstungskontrolle, das DREAM -Gesetz, das eine Amnestie für Kinder illegaler Einwanderer vorsah, sowie die Aufhebung des Verbots homosexueller Beziehungen bei der Armee. Anfangs sah es jedoch so aus, als würde nichts davon gelingen.
Und noch ein Posten stand auf der Liste: eine Neufassung des Bundesgesetzes über Kinderernährung, das Michelle Obama im Rahmen ihrer Kampagne gegen Fettleibigkeit vorangetrieben hatte. Die alte Fassung des Gesetzes, die seit Jahrzehnten in Kraft war, verdiente ihren Namen im Grunde nicht, denn sie enthielt keinerlei Standardwerte für Ernährung – beispielsweise keinerlei Regeln dafür, was in dem Essen enthalten sein durfte, das die einunddreißig Millionen Kinder zu sich nahmen, die Tag für Tag in den Kantinen der staatlichen Schulen verpflegt wurden. Die Neufassung setzte ebendiese Standards für das Schulessen und enthielt unter anderem Richtlinien für eine verstärkte Verwendung von Gemüse und eine etwas bessere finanzielle Ausstattung der Kantinen. Die Gesetzesvorlage war vom Senat abgesegnet worden, nicht zuletzt dank Michelles persönlichem Einsatz bei den Senatoren, musste jedoch noch vom Repräsentantenhaus verabschiedet werden.
Das ganze Verfahren war das übliche, quälende legislative Hindernisrennen: Mal schien gar nichts voranzugehen, dann wieder kam Bewegung in die Sache, dann schien das Vorhaben mausetot, dann wurde ihm doch wieder etwas Leben eingehaucht. Die First Lady hatte erheblichen Druck bei den Fraktionsführern des Repräsentantenhauses gemacht, und das mit der Legislative befasste Team des Westflügels hatte sie dabei unterstützt. In diesem Fall achtete sie nicht mehr darauf, ob sie zu sehr wie Hillary Clinton wirkte, also zu sehr in die Politik eingriff, sagte ein Mitarbeiter: Sie wollte unbedingt, dass das Gesetz den Kongress passierte und auf dem Schreibtisch ihres Mannes landete. Doch die Dezembertage vergingen einer nach dem anderen, die Weihnachtsferien standen vor der Tür, und das Parlament war noch immer blockiert.
Michelle Obama arbeitete gerade im Ostflügel, als die Nachricht sie erreichte, dass das Gesetz die nötigen Stimmen bekommen würde. Alle kamen in ihr Büro gelaufen: das ganze Team, Praktikanten und Praktikantinnen eingeschlossen, um mit ihr zu feiern. Noch wenige Monate zuvor hatte Michelle Obama sich aus den Geschäften der Regierung ausgeschlossen gefühlt, und nun hatte ausgerechnet ein Gesetz, für das
sie
sich vehement eingesetzt hatte, die Blockade des Kongresses überwunden und damit auch den Weg frei gemacht für die Verabschiedung anderer Gesetze.
In ihrem Überschwang gab sie eine spontane Party – das kleinere Gegenstück zur Feier ihres Mannes nach der Verabschiedung der Gesundheitsreform –, nicht oben in den Privaträumen, sondern im Diplomatic Reception Room, dem Raum für diplomatische Empfänge. Alle, die im Weißen Haus zu diesem Erfolg beigetragen hatten, kamen. Auf einem Foto ist die Freude der First Lady festgehalten: Sie steht vor den Mitarbeitern, die Hände triumphierend zu Fäusten geballt, und alle jubeln ihr mit hochgereckten Armen zu.
Die Unterzeichnung des neuen Bundesgesetzes über Kinderernährung durch Barack Obama fand in einer kleinen Grundschule statt. Hand in Hand mit seiner Frau betrat er die Bühne. Und dann neckte er sie, unbarmherzig und vor allen Leuten. »Hätte ich es nicht geschafft, das Gesetz durchzubringen«, sagte er und bog sich vor Lachen, »ich müsste jetzt auf dem Sofa schlafen.« Für einen Augenblick lüftete er den Vorhang ihres makellosen öffentlichen Images und deutete an, welche Vehemenz ihre Missbilligung erreichen konnte. Er wiederholte den Scherz, damit ihn auch jeder hörte. Die First Lady schien peinlich berührt. »Das wollen wir jetzt
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