Die Obamas
Daschle überlegten die beiden Männer im Januar, wie sich das Verhältnis des Präsidenten zu den republikanischen Kongressabgeordneten verbessern ließ. Es war eine schier unlösbare Aufgabe, denn es gab kaum mehr als eine Handvoll führende Republikaner in ganz Washington, zu denen Obama überhaupt einen persönlichen Kontakt hatte, geschweige denn eine produktive Beziehung pflegte. Und die neuen Abgeordneten von der Tea Party waren in den Kongress eingezogen, weil sie versprochen hatten, Obama zu vernichten. Aber der einzige Weg nach vorn, insistierte Daschle, laute »Einbindung, Einbindung und noch einmal Einbindung«. Obama werde unermüdlich sein müssen bei der Kontaktpflege zu jenen führenden Republikanern, mit denen er möglicherweise eine gemeinsame Basis finden konnte: Er solle sie übers Wochenende einladen, zum Beispiel nach Camp David. Nur so ließe sich das Vertrauen aufbauen, mit dem sich auch größere Vorhaben verwirklichen ließen. Sollten sie eine Einladung ablehnen, kein Problem, dann solle er sie wieder und wieder ansprechen. »Und wenn es nur gelegentlich ein Mittagessen ist, dann ist das jedes Mal ein Riesending«, sagte Daschle. Solche Treffen müssten nach und nach alltäglich werden, nur so ließe sich eine Beziehung aufbauen. Vielleicht müsse er sogar zum Kapitol gehen, um mit den republikanischen Kongressabgeordneten sozusagen das Brot zu brechen – der Präsident der Vereinigten Staaten, der sich nicht zu gut ist, an die Tür des Repräsentantenhauses zu klopfen. Er solle sogar in Erwägung ziehen, sie in ihren Wahlbezirken aufzusuchen.
Obama müsse einen Weg finden, die Kluft zu überbrücken, sagte Daschle. Er müsse sich mit seinen Feinden verbünden. Das sei der Wunsch der Amerikaner. Nur so könne es Fortschritt geben. Dafür sei er gewählt worden.
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Am Abend des 8 . Januar trafen sich die Obamas in Valerie Jarretts Wohnung in Georgetown zum Abendessen mit dem Justizminister Eric Holder und dessen Frau Sharon Malone, mit der Michelle sich angefreundet hatte. Die Stimmung war gedrückt, alle standen noch unter Schock. Bei einer Veranstaltung in einem Einkaufszentrum in Tucson, Arizona, hatte ein Mann der Kongressabgeordneten Gabrielle Giffords am Nachmittag aus nächster Nähe in den Kopf geschossen und sechs Menschen getötet, die gekommen waren, um Giffords’ Rede zu hören. Niemand wusste, ob sie überleben würde – in einer kurzen Erklärung gleich nach der Tat hatte der Präsident in der Vergangenheitsform von ihr gesprochen, sich jedoch hastig korrigiert.
Gabrielle Giffords war für Obama nicht irgendeine Politikerin; seit er sie im Wahlkampf 2006 unterstützt hatte, war er mit ihr befreundet. Der Präsident teilte für sich Kongressabgeordnete in zwei Kategorien ein: selbstsüchtige wie die Stadträte von Chicago, und intelligente, unabhängige und prinzipientreue wie Giffords. Wie Obama war sie ein Mensch mit Ecken und Kanten, der sich nicht in eine Schublade stecken ließ: eine Jüdin, die in abgetragenen Cowboystiefeln herumlief, eine Demokratin um die vierzig, die aber auch von Republikanern aus Tucson unterstützt wurde, arbeitswütig, seit mehreren Jahren liiert mit dem NASA -Astronauten Mark Kelly; sie trat für die Förderung der Solarenergie und die Reform der Einwanderungsgesetze ein, befürwortete privaten Waffenbesitz und besaß eine 9 -mm-Glock [71] . Giffords hatte trotz des politischen Risikos für die Gesundheitsreform gestimmt und bei den Zwischenwahlen ihren Sitz nur knapp behaupten können. Vor der Wahl hatte Sarah Palin die Wahlbezirke von zwanzig Demokraten, die sie entmachtet sehen wollte, auf einer US -Karte mit Fadenkreuzen markiert und dabei auch Giffords aufs Korn genommen. (»Nicht nachgeben, sondern nachladen!«, schrieb Palin dazu auf Twitter.) Auch das also hatten Giffords und Obama gemein: Sie waren beide zur Zielscheibe hässlicher Attacken seitens der Republikaner geworden.
Als die Obamas an jenem Abend an Jarretts Esstisch saßen, deuteten alle Anwesenden den Anschlag als direkte Folge der rechten Hetztiraden. Schon seit Jahren fürchteten Barack und Michelle, dass die aggressiven Parolen zu Gewalttätigkeiten führen könnten. »Wir haben Familie«, sagte Michelle einmal während des Präsidentschaftswahlkampfs zu einer Mitarbeiterin, als die verbale Hetze auf republikanischen Wahlveranstaltungen immer bedrohlichere Züge annahm. »Wir haben Kinder.« Nachdem ein Mann im Sommer 2009 einen Wachmann am Washingtoner
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