Die Obamas
Annäherung selbst dann beizubehalten, als wegen der demokratischen Protestbewegung im Nahen Osten eine außenpolitische Krise drohte. Aus heiterem Himmel rief er Wall-Street-Banker an und schreckte einige der reichsten Männer in New York an ihren Schreibtischen auf: Hier spricht Barack Obama. Ich wollte einfach mal hören, wie es Ihnen geht. Gemeinsam mit Joe Biden und William Daley lud er die Führer der republikanischen Kongressfraktion zum Mittagessen ein. Er hielt eine versöhnliche Rede vor der Handelskammer der USA , deren starke Lobby heftig gegen seine Gesetzesvorhaben opponierte (und diese Opposition auch finanzierte). Bei dieser Charmeoffensive erwies sich Biden als Obamas Joker; anders als der Präsident war er Vollblutpolitiker, entwaffnend und unterhaltsam. Während sein Chef den Wunsch nach einem gemeinsamen Foto meist steif ablehnte, brachte Biden es fertig, in einen Raum mit lauter Fremden zu marschieren und jeden, der nicht mit ihm auf ein Foto wollte, zum Gehen aufzufordern. Der Vizepräsident flog eigens nach Kentucky, um im Rahmen der Vorlesungsreihe des republikanischen Senators Mitch McConnell an der University of Louisville zu sprechen; eine deutliche Geste des Respekts und des guten Willens.
Als der Super Bowl näher rückte, verabschiedete sich Obama sogar von dem Prinzip, nur seinen Lieblingsvereinen die Daumen zu drücken. Die Pittsburgh Steelers aus Pennsylvania traten gegen die Green Bay Packers aus Wisconsin an, und obwohl er die Steelers favorisierte und als Fan der Chicago Bears eigentlich nie und nimmer für deren Erzrivalen, die Packers, sein konnte, verhielt sich Obama nach außen hin neutral. Schließlich gehörten Pennsylvania und Wisconsin beide zu den Wechselstaaten und somit zu den Wackelkandidaten. Parallel zum Spiel der Chicago Bears gegen die Charlotte Bobcats veranstaltete er eine Footballparty, zu der er Republikaner und Demokraten aus Illinois und North Carolina einlud und bei der das Spiel auf einer Großleinwand gezeigt wurde. Anders als bei seiner ersten Super-Bowl-Party warf er nur hin und wieder einen Blick auf das Spiel. Diesmal nutzte er die Gelegenheit zum politischen Gespräch.
Nur wenige Jahre nachdem sich Obama über den permanenten Wahlkampf nach Art Bill Clintons lustig gemacht hatte, erweiterte das Weiße Haus den Kreis der Mailingadressaten und plante zu jedem wichtigen Thema jeweils hundert verschiedene Events im ganzen Land. Mehr Besucher als je zuvor wanderten durch das Oval Office, und diesmal stand Obama für Fotos zur Verfügung: Händeschütteln, Lächeln, Foto, Händeschütteln, Lächeln, Schnappschuss.
Im März besuchte ein erstaunlich aufgeräumter Präsident das Kapitol zu einem überparteilichen St.-Patricks-Day-Mittagessen, wo er eine Geschichte über das herzliche Verhältnis zwischen Präsident Reagan und Tip O’Neill, dem ehemaligen demokratischen Fraktionssprecher im Repräsentantenhaus, zum Besten gab. »Bis sechs Uhr ging es um Politik«, sagte er. »Aber nach sechs, da waren sie Freunde.« Wollte er damit etwa andeuten, Barack Obama und John Boehner könnten Freunde werden?
Der wichtigste Hinweis auf Obamas neue Strategie war die Art, wie er die Haushaltsverhandlungen anging: Demokraten und Republikaner mussten bis zum 8 . April eine Einigung finden; wenn ihnen das nicht gelang, konnte die Regierung einpacken.
Zwei Jahre zuvor hatte Obama sich noch beklagt, es sei alles nur Kabuki, Maskentheater; und jetzt trug er selbst Maske und Kostüm und übernahm seine Rolle in dem Theaterstück. Um das Haushaltsdefizit zu reduzieren, würden alle Amerikaner mehr zahlen müssen und weniger herausbekommen – eine Maßnahme, die so notwendig war, wie sie bei den Wählern unbeliebt sein würde. Nicht nur Obama selbst, sondern auch die überparteiliche Steuerkommission, die er im Jahr zuvor eingesetzt hatte, hatten immer wieder darauf hingewiesen. Mit seinem Haushalt schob er jedoch die wirklich harten Entscheidungen zunächst weiter auf und warf die Empfehlungen seiner eigenen Kommission über den Haufen. Und damit setzte er die Republikaner unter Zugzwang: Sie würden als Erste harte Einschnitte im sozialen Sicherheitsnetz fordern müssen, und dann würden die Demokraten ihnen die Hölle heißmachen, weil sie den Alten und Armen ans Eingemachte wollten. Es war genau die Art politischer Winkelzüge, die Obama einst so verteufelt hatte, aber sie schienen ihr Ziel nicht zu verfehlen: Paul Ryan, der republikanische Vorsitzende der
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