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Die Obamas

Die Obamas

Titel: Die Obamas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Kantor
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Barack Obama, ein rationaler und ernsthafter Mensch, beendete die Unterhaltung mit einem Glaubensbekenntnis. Seit Jahren wurden ihm Knüppel zwischen die Beine geworfen; konnte er sich tatsächlich immer noch einen positiven Ausgang der Angelegenheit vorstellen?
    Nur wenige Wochen zuvor hatte Obama einigen Bürgerrechtsanwälten mehr oder weniger unverblümt mitgeteilt, dass er ein zentrales Wahlversprechen fallenlassen wollte. Jetzt überraschte er seine Mitarbeiter mit einem scheinbar völlig entgegengesetzten Schritt – ein Wahlversprechen aufrechtzuerhalten, obwohl einige der diesem zugrunde liegenden Annahmen sich als falsch erwiesen hatten und er allen Grund hatte, es zurückzunehmen. »Es ist mir egal, ob ich wiedergewählt werde oder nicht«, erklärte Obama der Führungsriege seines Stabs. Sie sollten die Umfrageergebnisse vergessen, sagte er seinen politischen Beratern. Er habe sie gesehen. »Als ich das Thema in Angriff genommen habe, war mir bewusst, dass es mich politisches Kapital kosten würde«, sagte er. »Aber dazu hat man schließlich politisches Kapital.«
    Aus Obamas Sicht hatte die Entscheidung, das Thema Guantanamo fallenzulassen, aber an der Gesundheitsreform festzuhalten, eine gewisse Logik: Er opferte das eine, um das andere zu retten. Fragen des Strafvollzugs betrafen die meisten Amerikaner nicht direkt – schließlich saßen in Guantanamo nur einige hundert Gefangene ein. Und für einen Verfassungsrechtler war Obama schon immer verblüffend pragmatisch gewesen. Ehemalige Jurastudenten erinnern sich, dass er theoretische Argumentationen und abstrakte Prinzipien häufig mit der Bemerkung abtat: »Und was bedeutet das für die Menschen?« Das Gesundheitswesen dagegen war ein umfassendes, systemisches Problem, das nach Obamas Ansicht einfach gelöst werden musste. Oder wie ein Mitarbeiter sich ausdrückte: »Für den Präsidenten ist Politik eine Wissenschaft (vor allem eine Wirtschaftswissenschaft), deren Ziel darin besteht, den größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Anzahl von Menschen zu erzielen, und es gibt richtige und falsche Entscheidungen.« Obamas bester Charakterzug stellte gleichzeitig seine größte Schwäche dar: Einerseits war da seine Bereitschaft, langfristig zu denken und sich in einer Weise für Unterprivilegierte einzusetzen, wie man sie bei Politikern nur selten findet. Andererseits war da seine Überzeugung, es im Zweifelsfall besser zu wissen als alle anderen – von der Öffentlichkeit bis hin zu seinen eigenen Beratern.
    Die Angriffe von Seiten der Republikaner, die in den folgenden Wochen zunahmen und über den ganzen August 2009 anhalten sollten, wurden immer spektakulärer; angeführt wurden sie von der stetig wachsenden Tea-Party-Bewegung, die zu einer Art Spiegel des Obamaismus wurde: Die Bewegung wurde von derselben Welle der Unzufriedenheit mit Washington emporgespült, die Obama ins Präsidentenamt getragen hatte, und ihre Vertreter nutzten ähnlich wie Obama in seinem Wahlkampf nicht institutionalisierte Organisationsprinzipien, allerdings auf erheblich aggressivere Weise. Sarah Palin griff die Vorwürfe der Tea Party auf und beschuldigte Obama schließlich, ihren am Down-Syndrom leidenden Sohn Tri vor ein »Sterbegremium« zerren zu wollen. Bürgerversammlungen mit Kongressabgeordneten, normalerweise friedliche Veranstaltungen, wurden von Demons-tranten gestört, die wütend gegen »Obamacare« protestierten, also Obamas Gesundheitsvorsorgesystem, in den USA »Health care«. Aber die Tea-Party-Anhänger warfen Obama nicht nur vor, Staatsgelder zu verschleudern, sondern sie beschimpften ihn als Sozialisten. Auf eine solche Welle der Kritik war sein Stab nicht vorbereitet.
    Während Obamas Mitarbeiter in Verzweiflung gerieten, tat der Präsident die Bedenken gegen seinen Plan weitgehend ab. Das mit den »Sterbegremien« sei einfach nur lächerlich, ein Zeichen dafür, dass seinen Gegnern nichts mehr einfalle. »Wir stehen kurz vor dem Ziel, deshalb spielen sie verrückt«, sagte er einigen Mitarbeitern. Im Übrigen war er davon überzeugt, dass der August ihm schlichtweg Unglück brachte: Im August 2007 hatte sein Wahlkampf den absoluten Tiefpunkt erreicht, und im Jahr darauf war Sarah Palin als Star der Republikaner zur Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten aufgestiegen. Um beide Male den August zu überleben und die Wahl zum Präsidenten zu gewinnen, hatte er sich auf Mantras verlassen. Auch jetzt griff er auf sie zurück: Ignoriere

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