Die Obamas
während der Bush-Ära eingeführte Strafvollzugspolitik zu beenden und das Gefängnis in Guantanamo zu schließen, in dem Jahre nach den Anschlägen vom 11 . September 2001 immer noch Terrorismusverdächtige ohne Gerichtsverhandlung festgehalten wurden. Im Gegensatz zu den Konservativen, die argumentierten, die USA dürften sich angesichts tödlicher Gefahren nicht mit juristischen Spitzfindigkeiten aufhalten, hatte Obama selbst nach seinem Amtsantritt noch erklärt, er sehe keinen Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit. Genau wie in seiner Grundsatzrede auf dem demokratischen Parteitag 2004 , in der er erklärte, es gebe keine Spaltung des Landes in »blaue« und »rote« Staaten, ein richtiger Obama-Klassiker. Beim Thema Strafvollzug hatte er versprochen, Gegensätze miteinander in Einklang zu bringen, an deren Versöhnung schon andere gescheitert waren.
Davon war jetzt keine Rede mehr. Die Einjahresfrist für die Schließung von Guantanamo war erst in einigen Monaten vorbei, aber es war längst klar, dass er diesen Zeitplan nicht würde einhalten können. Obama hatte sein Versprechen gegeben, bevor Regierungsmitarbeiter die Geheimakten der Häftlinge gelesen hatten, aus denen hervorging, dass viele Fälle erheblich schwieriger zu lösen sein würden als angenommen. Der Kongress war nicht bereit, die Schließung des Lagers zu unterstützen, und lehnte selbst die Bereitstellung finanzieller Mittel für alternative Lösungen ab; niemand wollte Terrorismusverdächtige in den Gefängnissen des eigenen Bundesstaats sitzen haben. Außerdem schien die Regierung bei vielen ähnlichen Themen – etwa was die Veröffentlichung von Fotos misshandelter Inhaftierter anging – die Politik von George W. Bush fortführen oder bestenfalls leicht abwandeln zu wollen. Obama hatte im Gegensatz zu vielen Linken kein Interesse an einer Strafverfolgung der Zuständigen, die seinerzeit die Politik der »verschärften Vernehmungen«, sprich Folter, abgesegnet hatten, weil dadurch die gesamte Terrorabwehr geschwächt würde.
Wie es in den kommenden Jahren noch oft der Fall sein sollte, wurde der Präsident von zwei Seiten zugleich unter Beschuss genommen: Die Linken waren verärgert über die Regierung, weil sie nicht eindeutig Stellung bezog, während die Rechten, unter ihnen der ehemalige Vizepräsident Dick Cheney, den Präsidenten als naiv und kraftlos beschimpften, wenn es um die nationale Sicherheit ging. Viele im Weißen Haus, auch Rahm Emanuel, hatten Sorge, die Aufregung um Guantanamo könne den Bemühungen des Präsidenten um die Gesundheitsreform und andere Reformen schaden. Deshalb saßen die Gäste jetzt am Konferenztisch des Cabinet Room, und sie wussten, warum sie eingeladen worden waren: Der Präsident wollte ihnen seine Meinung in privater Runde darlegen, in der Hoffnung, sie würden sich mit öffentlicher Kritik zurückhalten.
Zu Beginn der Sitzung beantwortete Obama die Fragen seiner Gäste direkt, ohne zunächst auf die Schärfe ihrer Kritik einzugehen. Er teile ihre verfassungsrechtlichen Bedenken, aber Bush habe ihm ein einziges Chaos hinterlassen, sagte er. Den falschen Gefangenen zu entlassen könne zu erneuten terroristischen Anschlägen führen. Aber egal, wie er vorgehe, jede Entscheidung sei heikel. Er beschwor die Geladenen, die Unterschiede zwischen seiner Politik und der von Bush nicht zu übersehen – zum Beispiel sein Verbot bestimmter Befragungstechniken oder die Veränderungen am System der Militärtribunale, die sein Vorgänger eingeführt habe. [30]
Aber dann kam Obama aus der Deckung. »Als Präsidentschaftskandidat habe ich mich sehr ernsthaft und auf der Grundlage der Informationen, die mir zur Verfügung standen, mit diesem Thema auseinandergesetzt«, erinnerte sich Vince Warren vom Center for Constitutional Rights an eine Aussage Obamas. »Nun bin ich Präsident der Vereinigten Staaten, und als solcher treffe ich meine Entscheidungen auf der Grundlage der Informationen, die mir
jetzt
zur Verfügung stehen.« Mit ausdrucksloser Miene erklärte er seinen Gästen, dass er eine Politik der unbefristeten Haft in Betracht ziehe, die es der Polizei erlaube, bestimmte Verdächtige auch ohne Gerichtsverfahren festzuhalten. Es war ein Moment, in dem alle die Luft angehalten hätten, sagte einer der Anwesenden später. Der Rechtsgrundsatz war klar und simpel: Verdächtige hatten so lange als unschuldig zu gelten, bis das Gegenteil bewiesen war, und sie hatten das Recht auf einen zeitnahen und
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