Die Obamas
medizinische Versorgung leisten konnten.
Die First Lady erzählte einer Mitarbeiterin, dass sie sich nicht in die politische Detailarbeit einmischen wolle. »Ich will keine zweite Hillary Clinton sein, so bin ich nicht«, hatte sie gesagt und damit auf die Kritik angespielt, die ihre Vorgängerin hatte einstecken müssen, als sie die Regie bei den Reformbestrebungen ihres Mannes übernommen hatte. Aber sie könne ihre Beliebtheit nutzen, um in der Öffentlichkeit für das Reformprojekt ihres Mannes zu werben. »Finden Sie heraus, wie Sie mich am effektivsten einsetzen können«, sagte sie. »Ich werde meinem Team mitteilen, dass dieses Projekt für mich Priorität hat.«
Als in jenem Sommer der Krieg um die Gesundheitsreform tobte, griff jedoch niemand im Westflügel das Angebot der First Lady auf. Sie organisierte einige Veranstaltungen, die jedoch so unbedeutend waren, dass sie kaum Beachtung fanden. Die politischen Berater des Präsidenten seien sicherlich versucht gewesen, sie stärker einzuspannen, sagte Robert Gibbs später. Ihnen sei bewusst gewesen, dass sie nur darauf wartete. Nun war Michelle Obama eine der populärsten öffentlichen Figuren im Land, auf der Beliebtheitsskala lag sie weit vor ihrem Mann. Der Präsident hatte bereits einen Teil seines Ansehens für die Gesundheitsreform geopfert, und dass die First Lady jetzt ebenfalls deswegen ihre Popularität aufs Spiel setzte, war das Letzte, was die Berater wollten. Dass sie für die Gesundheitsreform kämpfen
und
weiterhin beliebt bleiben könnte, schien ihnen höchst unwahrscheinlich. »Wir hatten andere First Ladies im Hinterkopf, die sich in die Gesundheitspolitik eingemischt haben«, gab Gibbs zu, womit er ebenfalls auf Hillary Clinton anspielte.
Und so wurde Michelle Obamas Unterstützung für das Reformprojekt zur Privatsache und zum Thema langer Diskussionen zwischen den Eheleuten. Während der Präsident sich mit komplexen Themen wie Krankenkassenbeiträgen, dem Kassenwechsel oder mit Verordnungsänderungen im Gesundheitswesen und mit Subventionen herumschlug, war es an Michelle Obama, ihrem Ehemann zu erklären, was das Volk wirklich dachte.
»Ich sehe bei ihr, welche Nachrichten in ihrem Bewusstsein hängenbleiben, weil sie sie nicht ständig verfolgt«, sagte der Präsident später in einem Interview. »In mancher Hinsicht ist Michelle wie die Menschen, die wir ansprechen wollen«, fuhr er fort. »Das sind vernünftige, hart arbeitende Amerikaner, keine Politikfreaks, Leute, die sich vor allem auf ihr eigenes Leben konzentrieren, denen es aber dennoch um den Erfolg dieses Landes geht und darum, dass die Regierung für sie arbeitet.« Sie mache ihn darauf aufmerksam, wenn die Regierung nicht einleuchtend argumentiere oder nicht angemessen auf die Kritik der anderen Seite reagiere. Sie sorge sich vor allem um Familien, denen das derzeitige Gesundheitswesen zu schaffen mache, die aber gleichzeitig Angst vor möglichen Veränderungen hätten. Die Regierung müsse die Ängste dieser Menschen ernster nehmen, habe sie ihm geraten.
Obama, dessen einzelgängerisches Wesen durch die Einsamkeit, die das Präsidentenamt mit sich brachte, noch verstärkt wurde, sah sich zunehmend isoliert, so dass er mehr denn je auf Michelles Gespür für das emotionale Element einer Debatte, also für das, was die meisten Amerikaner bewegte, angewiesen war. Aber sie wohnte jetzt ebenfalls im Weißen Haus und hatte auch nicht mehr Kontakt zu normalen Menschen als ihr Mann. Die Tatsache, dass er sich trotzdem immer noch auf sie als Stimmungsbarometer für die öffentliche Meinung verließ, war ein deutliches Zeichen dafür, wie groß seine Distanz zur Lebenswelt des Durchschnittsamerikaners geworden war.
Weder Barack noch Michelle hatten den Stimmungsumschwung in der Bevölkerung, der in den Monaten seit Obamas Wahl zum Präsidenten stattgefunden hatte, richtig mitbekommen, und auch nicht die kollektive Panik in Bezug auf die staatliche Ausgabenpolitik. Obama war gewählt worden, um ein »vernünftiges, multikulturelles, gemäßigtes Land zu führen, das den Weg des Fortschritts weitergehen wollte. Dummerweise ist das Land aufgebracht, moralistisch, grantig und verzweifelt«, so ein führendes Mitglied des Weißen Hauses später. »Das Land ist so gespalten, dass er den Abgrund nicht überbrücken kann.«
Da die beiden mit dem Alltag der Amerikaner nicht mehr vertraut waren, empfanden sie die Widerstände gegen die Pläne des Präsidenten nur als denunziatorische
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