Die Obamas
nicht klar, so dass es sich schwer verteidigen ließ, zum anderen waren viele Menschen mit ihrer Krankenversicherung zufrieden; und die Hauptaussage – die Kosten der Gesundheitsreform in Höhe von fast einer Billion Dollar würden die Wirtschaft ankurbeln – schien an den Haaren herbeigezogen. »Ich bin ein ziemlich guter Kommunikator«, sagte der Präsident zu seinen Mitarbeitern. »Warum dringe ich nicht zu den Leuten durch?«
Er schwächte seine Position zusätzlich, indem er eigens eine Pressekonferenz abhielt, um seine Bemühungen um die Gesundheitsreform zu erläutern, und sich dann auf dem Podium zu einer Solidaritätserklärung für den schwarzen Harvard-Professor Henry Louis Gates jr. hinreißen ließ, der kürzlich in Cambridge in eine Auseinandersetzung mit einem weißen Polizisten geraten war. Mit seinen Aussagen begab sich Obama auf das sensible Terrain der Rassendiskriminierung. Für viele Amerikaner hatte es den Anschein, als wolle Obama einen ehemaligen Harvard-Kumpel vor einem einfachen Polizisten in Schutz nehmen. Glenn Beck, der konservative Fernseh- und Radiomoderator, verkündete, Obama hege »einen tiefen Groll gegen Weiße«. Das eigentliche Thema der Pressekonferenz war damit in den Hintergrund gerückt.
Rahm Emanuel sah die Katastrophe kommen. In einer »Nonstop-Kampagne«, wie ein Mitarbeiter es nannte, bearbeitete er Obama die ganze letzte Juliwoche Tag für Tag, um ihn davon zu überzeugen, seine Vorhaben auf ein realistisches Maß einzudampfen. Eine vollständige Reform des Gesundheitswesens werde den Kongress nicht passieren, erklärte er dem Präsidenten. Er solle das Projekt enger fassen und sich auf bedürftige Kinder und die Neuordnung des Versicherungswesens konzentrieren, dann könne er später immer noch weitersehen. Die Jahre mit Präsident Clinton und im Kongress hätten ihn, Emanuel, eine Politik der kleinen Schritte gelehrt, bei der man Kontroversen und dramatische Entweder-oder-Situationen besser vermied.
David Axelrod hingegen wies Obama auf die Entwicklung seiner Umfragewerte hin, an der sich ablesen ließ, dass seine Pläne ihn wichtigen öffentlichen Rückhalt kosteten. Die Wähler bekämen allmählich den Eindruck, Obama sei zu sehr Kopfmensch und zu abgehoben und mehr daran interessiert, seinen festgelegten Kurs zu verfolgen, als sich um ihre Sorgen zu kümmern. Die Arbeitslosenrate, die seine Wirtschaftsberater mit unter acht Prozent vorhergesagt hatten, war inzwischen auf alarmierende neuneinhalb Prozent gestiegen. Die Gesundheitsreform zum Hauptthema zu machen könne dazu führen, was DeMint ihm prophezeit habe – zu einer Niederlage, von der sich der Präsident möglicherweise nicht mehr erholen werde.
Aber der Präsident ließ sich nicht beirren.
In jenen Tagen traf sich Obama mit einer Gruppe von Beratern im Büro von Phil Schiliro, dem Leiter des Büros für parlamentarische Angelegenheiten, um die Chancen der Reform zu diskutieren.
Die Lage war ernst. Die Republikaner würden einen stufenweisen Ausbau der Reform nicht unterstützen, und sie würden einer abgespeckten Version der Reform ebenso wenig zustimmen wie einer radikalen; sein Vorhaben herunterzuschrauben werde nur die Linken gegen ihn aufbringen. Außerdem sei es einfach die falsche Politik. »Ich kann beim besten Willen nicht akzeptieren, dass zweiunddreißig Millionen Menschen ohne Versicherungsschutz leben«, sagte Obama zu Emanuel. Wenn es die Chance gebe, eine wesentliche Lücke im sozialen Netz zu schließen, dann werde er sie ergreifen. Als ihm seine Berater die sinkenden Umfragewerte entgegenhielten, konterte Obama mit Einzelschicksalen: Er habe in Green Bay eine Frau mit Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium kennengelernt, Mutter zweier kleiner Kinder, die wegen der Kosten für ihre Behandlung vor dem Ruin stehe.
Das bot noch keine Lösung für das praktische Problem, mit dem sich Obama und sein Stab auseinandersetzen mussten. Sie würden das Gesetz vielleicht durch den Senatsausschuss bekommen, aber sie glaubten einfach nicht, dass sie dann im Senat selbst genügend Stimmen bekommen würden. In Bezug auf Gesetzgebungsverfahren waren Obamas Berater zwar alte Hasen, aber was dieses Gesetz anging, waren sie ratlos.
Am Konferenztisch machte sich eine gedrückte Stimmung breit. Am Ende war es Obama, der seinem Team mit den folgenden Worten Mut zusprach: »Wissen Sie was? Ich glaube, ich werde Glück haben. Wir werden diese Reform durchbringen.«
Ich glaube, ich werde Glück haben?
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